Die Überquerung des Atlantiks war die letzte Etappe meiner Mission "Per Anhalter nach Amerika". Das Boot fand ich nach zehntägiger Suche im Hafen von Las Palmas. Doch schon bald, nachdem wir in Teneriffa die Segel gesetzt haben, stellte sich jeder unserer sechsköpfigen Crew die Frage: "Warum tun wir uns das eigentlich an?" Welchen Sinn soll es haben, drei Wochen lang und knapp 2.600 Seemeilen mit einem 38 Fuß Katamaran zu segeln? Mit einem Boot, das – wie sich nach und nach herausstellte – aufgrund diverser Mängel für eine solche Überfahrt gar nicht geeignet war. Damit über zehntausende Wellen zu schaukeln, durch Wind und Wetter, ohne auch nur einmal Land zu sehen. Wir haben unsere Antworten gefunden.

Die Nachtwache war ruhig. Kaum eine Wolke verdeckt die Sicht auf den sternenklaren Himmel. Die ruhige See schiebt lange Wellen unter den Rumpf des Katamarans. Der Mond spiegelt sich auf der endlos scheinenden Weite des Atlantiks. Romantisch und mystisch zugleich nimmt einer die Stimmung wahr, der hunderte Seemeilen weit draußen am nächtlichen Weltmeer dahinsegelt. Das Logbuch unserer Lagoon 380 zählt bereits sieben Tage in Richtung 270-Grad-Kurs, Karibik voraus. Weit voraus. Als der Mond am frühen Morgen untergeht, sieht der Steuermann in der Dunkelheit kaum noch die Hand vor Augen, geschweige denn die Wellenstruktur. Längst verdeckt eine Wolkendecke die Sterne und der Wind hat stark auf bis zu dreißig Knoten zugelegt. Das sind grenzwertige Verhältnisse, die exaktes Steuern verlangen. Dann eine kleine Unaufmerksamkeit auf der Brücke und eine starke Böe zerreißt das Vorsegel.

Es war einmal ein "Wingaker"-Segel – gerissen in der siebten Nacht.
Foto: Jakob Horvat

Die Karibik muss man sich verdienen

"Don’t cry over spilled milk" oder "Shit happens" – jeder sucht sich das für sich brauchbarste Credo für den Tag heraus. Trotzdem erreicht die Stimmung ihren vorläufigen Tiefpunkt. Der 22-jährigen Segellehrerin Anna und mir setzen die hohen Wellen zu – zwei Tage lang sind wir nur für wenig zu gebrauchen. Nur dem sonnigen Gemüt von Schiffseigner Wolfgang scheinen die aktuellen Ereignisse wenig Abbruch zu tun. "Dat machen wa schon", hört man den deutschen Rentner lässig sagen. Zu lässig, wie wir später noch erfahren sollten. Wer sich auf eine solche Reise begibt, der mag, der sucht das Abenteuer – und dazu gehört eben auch die Unberechenbarkeit der Ereignisse.

So unverhofft wie in der vergangenen Nacht das Segel gerissen ist, beißt am Nachmittag eine zweieinhalb Kilogramm schwere Golddorade in den Tintenfischköder, den wir schon seit Tagen erfolglos hinter uns hergezogen haben. "Gott gibt, Gott nimmt", möchten die Gläubigen feststellen. Kapitän Lothar weiß, wie er dieses Geschenk des Atlantiks in ein delikates Abendessen verwandelt. Er war Koch und Gastro-Manager, bevor er seine Leidenschaft für das Segeln zum Beruf gemacht und seine Firma gegründet hat. Das schmeckt man. Des Skippers zweite Leidenschaft bereitet dem bisher ereignisreichsten Tag unseres Transatlantik-Törns ein würdiges Ende.

Drei Wochen am Atlantik – und täglich ein Naturschauspiel.
Foto: Jakob Horvat

Die Crew ist bunt zusammengewürfelt

Peter zum Beispiel hat bereits sechs Regatten von jeweils tausend Seemeilen hinter sich, gesegelt über den Zeitraum von jeweils einer Woche. "Immer wieder habe ich mich gefragt, warum ich mir das antue", erzählt er, "aber irgendwas hat mich immer gepackt." Die Abenteuerlust sei es gewesen, sinniert Peter, und das Ausloten seiner Grenzen. Dieses Jahr feiert er seinen siebzigsten Geburtstag, immer noch möchte er wissen, wie weit er gehen kann: "Ich will wissen, wie ich damit umgehe, mitten in der Nacht nach vier Stunden Schlaf aufzustehen, um Wache zu schieben – und das drei Wochen lang." Das habe ich einen Fast-Siebzigjährigen so noch nicht sagen gehört. "Du kannst auch mit Gewalt alt werden, das kriegst du hin", sagt Peter. "Du brauchst dich nur den Normen der Gesellschaft beugen, das Standardprogramm fahren, und bald wirst du zum senilen Krüppel. Damit kann ich halt nur wenig anfangen."

Wolfgang, der Schiffseigner, stimmt ihm da zu. Mit 65 Jahren erfüllt er sich hier seinen Lebenstraum. Er hat vor Kurzem seinen Katamaran erworben, mit dem er sich jetzt in die Karibik absetzen möchte. "Du musst hinaus in die Welt", sagt er, "wenn du zuhause bleibst in deinem Kaff, dann machst du alles falsch was du nur falsch machen kannst. Hier spielt sich das Leben ab, nicht zuhause auf dem Sofa."

Die Crew: Schiffseigner Wolli, Christian, Anna, Peter, Kapitän Lothar und ich.
Foto: Jakob Horvat

Der Zustand des Bootes – an sich ein Abenteuer!

Es ist das Rendezvous mit dem Unbekannten, die Schönheit der Natur und die Chance, mit ihr auf Tuchfühlung zu gehen, die eine Atlantiküberquerung zu einem so besonderen Abenteuer machen. Die große Distanz zur Zivilisation und damit zur Hilfe im Notfall sorgt für eine Würze außergewöhnlicheren Geschmacks. Da möchte man meinen, das Schiff, auf dem man unterwegs ist, sei für die geplante Odyssey adäquat ausgerüstet. Doch schon nach wenigen Tagen machen sich Mängel bemerkbar.

Müßig, hier die Schuldfrage zu diskutieren. Das haben wir versucht, es hat nichts geholfen. Die Solarpaneele funktionieren nicht richtig und auch unter Motor laden die Batterien zu langsam. Elektrizität wird zu einem raren Gut, was insofern ein Problem darstellt, als die Navigationsinstrumente ohne nicht funktionieren. Die Süßwassertanks verlieren ihren Inhalt literweise, wenngleich wir ausreichend Trinkwasser in Plastikbehältern an Bord haben.

Segeltechnisch hält sich die Abwechslung einer Transatlantikreise in Grenzen – hie ein Vorsegel setzen – wir hatten ein zweites mit –, da ein Großsegel bergen, dort eine kleine Kursänderung, um den Passatwind besser auszunützen. Doch der Zustand des Bootes macht die Überfahrt zu einem abenteuerlichen Theater. Zuweilen sind wir uns nicht sicher, ob wir die Hauptdarsteller in einer Komödie oder in einem Drama sind.

Die "Casa Antonia": Ein 38-Fuß-Katamaran mit mehr Mängeln, als wir uns vorstellen konnten.
Foto: Jakob Horvat

Der Treibstoff wird knapp

Die sonst so zuverlässigen Passatwinde lassen uns im Stich, wehen nicht aus Nord-Ost, wie das der Fall sein sollte. Teilweise wechseln sie in die Gegenrichtung, eine Woche lang motoren wir durch eine Flaute mit Winden von weniger als fünf Knoten. Der Klimawandel sei schuld, hörte ich bereits viele Segler sagen. So auch Kapitän Lothar Weber: "Die Standardsituation des Passatwinds ist nicht mehr gegeben. Wir erleben hier ein riesiges Hochdruckgebiet, das diese Windflaute verursacht. Das ist definitiv eine Anomalie." Die Dieselmotoren laufen tagelang, nach zwei Wochen auf hoher See und rund 700 Seemeilen östlich der Karibik stellen wir fest: der Treibstoff wird knapp.

Sonne auf hoher See.
Foto: Jakob Horvat

Beispielhafte Crew und bezaubernde Natur

Und immer dann, wenn Nachrichten wie diese die Stimmung trüben, dann hält die Crew zusammen und motiviert sich gegenseitig. Dann spricht einer Kluges, wie Christian, eines morgens am Steuerrad: "Es könnte schlimmer sein. Kein Wind und Dauerregen, zum Beispiel. Oder schwere Stürme. Oder stell dir vor, es würde uns das Bier ausgehen. Es gibt viele Gründe, dankbar zu sein." Oder die Natur selbst macht alle Strapazen wieder wett. Dann zum Beispiel, wenn die Sonne unter den Horizont taucht und den Himmel in ein Kunstwerk von einer solchen Farbvielfalt verwandelt, wie es nur die Natur selbst malen kann.

Oder einige Meeresbewohner geben uns flüchtige Einblicke in ihre Welt, die sich unter der Wasseroberfläche versteckt. Ein Pottwal, länger als unser Boot, dessen mächtige Silhouette immer dann zum Vorschein kommt, wenn sich die meterhohe Welle auftürmt, in der er schwimmt. Zwei Dutzend Delfine, die mit der Bugwelle spielen. Eine Grindwalfamilie, die langsam, aber stetig durch den Ozean schnauft. Oder zwei Schwertfische, die in den Angelköder beißen und Chefkoch Lothar zu seiner allseits geschätzten Arbeit rufen. Und nach dem Abendessen, eines nachts, als der Mond noch nicht am Himmel steht und der Atlantik schwarz ist, frage ich mich, welche Zahl wohl größer ist: die der Sterne über oder die der Fische unter uns. Absurde Überlegungen und utopische Umgebungen passen gut zusammen, denke ich, bevor mich die Wellen in den Schlaf wiegen.

Land in Sicht nach drei Wochen! Eine kleine Fischerinsel vor Guadeloupe.
Foto: Jakob Horvat

Im Fahrwasser von Christoph Kolumbus

Seine "Santa Maria" war unsere "Casa Antonia". Zwar war sein Job zweifellos härter als unserer. Weder wusste er, wie lange er unterwegs sein würde, noch, wohin er fuhr. Und doch hat für ihn alles genau gleich ausgesehen. Die Sternenbilder am Himmel, der Mond, der die langen Wellen des Atlantiks in ein mystisches Licht taucht. Nur Motoren hatte er keine, die ihn aufgrund der Windflaute gerade noch bis ans Ziel trugen. Seine Bahamas-Insel ist in unserem Fall die französische Kolonie Guadeloupe. Auch hatte Columbus weder Tankanzeige noch moderne Navigationsinstrumente, die ihm verrieten, dass er mit den letzten Tropfen Diesel in Amerika angelandet war. (Jakob Horvat, 8.5.2017)

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