Auf Opas Spuren: Sebastian Schindegger, Vera von Gunten.

Foto: Matthias Heschl

Wien – Erinnerung ist ein Kampfschauplatz, im privaten wie im öffentlichen Gedächtnis. Warum erzählte beispielsweise ein Großvater nie davon, wie er im Mai 1945 mit zigtausend anderen Kroaten den Todesmarsch von Bleiburg nach Zagreb überlebte? Weil er sich politisch bedeckt halten wollte oder weil die Erinnerung daran zu schmerzhaft gewesen wäre? Beides ist denkbar.

Über die Schwierigkeiten der Geschichtsforschung und die unterschiedlichen Lesarten von historisch eruierten Fakten hat Ivna Zic ein Stück geschrieben. In Blei, am Donnerstag im Schauspielhaus Wien uraufgeführt, folgt die Autorin der von ihrem Großvater nicht erzählten Geschichte, um ihrer habhaft zu werden.

Was in punkto Forschergeist einer Diplomarbeit im Fach Zeitgeschichte mit Schwerpunkt "oral history" gleichkommt, inszeniert Schauspielhauschef Tomas Schweigen als retrospektive Theaterrecherche auf der Bühne. Die filmisch dokumentierten Interviews mit Zeitzeugen und Wissenschaftern zum umstrittenen Bleiburg-Gedenken werden von drei Schauspielern (Vera von Gunten, Jesse Inman, Sebastian Schindegger) live synchronisiert bzw. der Part des im Familienverbund lieber von anderen Dingen erzählende Großvater auch gespielt.

Die Transformierung des Dokumentarischen ins Künstliche der Bühne ist ein kluger und zentraler Punkt des Abends, da er die Strategien von Gedächtnishütern und die Konstruktion von Erinnerung live nachvollziehbar macht.

Samt den Verbatim-Ansätzen ist diese Übersetzung des Dokumentarischen am Theater eine gängige Praxis. Am Schauspielhaus gibt sich das Produktionsteam in der Selbstbeobachtung demonstrativ naiv, stellt das Nichtwissen betont aus (Scheint gerade in Mode zu sein!) und kapituliert dann recht theatralisch vor den Widersprüchen und der damit verbundenen Rechercheanstrengung. Ideal für angehende Geschichtsstudenten. (Margarete Affenzeller, 22.4.2017)