EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn spricht sich innerhalb der EU-Kommission schon lange dafür aus, nach Alternativen zur türkischen EU-Mitgliedschaft zu suchen. Nun geht er in die Offensive.

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Brüssel/Wien – In der EU-Kommission werden eine Woche nach dem Referendum in der Türkei nun die Bemühungen konkreter, ein Alternativmodell für die laufenden EU-Beitrittsverhandlungen zu suchen. Dieses soll enge Beziehungen des Landes zur Union ohne EU-Mitgliedschaft vorsehen. Das hat der für die Erweiterung zuständige Kommissar Johannes Hahn am Montag im Gespräch mit Journalisten bestätigt.

Es sei "wirklich an der Zeit für eine Neubewertung der Beziehungen", erklärte Hahn. Da die Bemühungen zum Beitritt für beide Seiten "nicht nachhaltig" seien, sollte man sich nach einer "neuen Art der Zusammenarbeit" umsehen. Die türkische Verfassungsreform soll die Macht von Präsident Tayyip Erdoğan in einer Weise ausbauen, die der Europarat als "Rückschritt der Demokratie" einstuft. Wie der STANDARD bereits nach der Volksabstimmung in der Türkei berichtete, hat die Kommission bereits damit begonnen, den Beitrittsprozess einer Revision zu unterziehen.

Nach Auffassung von Kommissionsjuristen erfüllt Ankara wegen der künftigen Aufhebung der Gewaltenteilung von Regierung, Parlament und Gerichten nicht mehr die demokratiepolitischen Kriterien für EU-Mitglieder. Bis zum EU-Gipfel Ende Juni will die Kommission einen Türkei-Bericht vorlegen, damit die Regierungschefs über Ende oder Alternativen zu den Beitrittsverhandlungen entscheiden können.

So einfach ist das juristisch nicht: Zur Beendigung der Beitrittsverhandlungen braucht es Einstimmigkeit unter den Staaten. Für die bloße Suspendierung genügte eine qualifizierte Mehrheit im EU-Ministerrat.

Hahn sprach sich kommissionsintern schon seit langem für eine andere Form der "privilegierten Partnerschaft" für die Türkei anstatt der Mitgliedschaft aus, unter anderem deshalb, weil das Problem Erdoğan den gesamten Erweiterungsprozess auf dem Westbalkan negativ beeinflusst.

EU-Länder uneins

Nun spricht er sich dafür aus, dass man entweder die Zollunion mit Ankara ausbaut oder auf einen neuen Assoziationsvertrag hinarbeitet. Der EU-Beitritt werde jedoch eine Option bleiben.

Es zeichnet sich also ab, dass die Kommission einen Bericht abliefert, der mehrere Entwicklungsmöglichkeiten mit der Türkei eröffnet. Erste Gespräche dazu soll es am Wochenende bei einem informellen Treffen der EU-Außenminister in Malta geben, als Ergebnis eine erste Orientierung, wohin die Reise geht, aber noch keine Entscheidungen.

Österreich spricht sich offensiv für einen glatten Abbruch der Beitrittsverhandlungen aus. Minister Sebastian Kurz musste beim EU-Ministerrat Anfang des Jahres aber einräumen, dass er damit offiziell allein dastand. Dennoch ist es so, dass die Beitrittsverhandlungen derzeit eingefroren sind. So ist die Beschlusslage der EU-Staaten. Präsident Erdoğan hat zuletzt deutlich gemacht, dass ihm die EU-Gespräche nicht wichtig sind. (Thomas Mayer, 24.4.2017)