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Die terrassenförmig angelegte Verlorene Stadt: Sie ist ein Geheimtipp, und daran soll sich auch in Zukunft nichts ändern.

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Eine Kogi-Indianerin am Wegesrand zur Verlorenen Stadt. Die Kogi verstehen sich als Nachfahren der Tairona, der Ureinwohner der Sierra Nevada im Norden Kolumbiens.

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Adan Jesus de Bedolla, vormals Grabräuber, heute Tourguide.

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Die Karibikküste bei Santa Marta im Norden Kolumbiens.

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Adan de Jesus Bedolla ist eine Legende in der Sierra Nevada de Santa Marta, dem höchsten Küstengebirge der Welt. Er hat Koka angebaut, Gräber ausgeraubt und betreibt heute, mit 70 Jahren, eines der größten Camps auf dem Weg in die Verlorene Stadt, in die Ciudad Perdida. "Ich war 30 Jahre lang Grabräuber. Ich habe nur aufgehört, weil ich kaum noch gehen kann", sagt er mit knarzender, kaum verständlicher Stimme.

Er greift zu einer Kette um seinen Hals, gefertigt aus Jade, Quarz und anderen Mineralien. "Eine Grabbeute, bestimmt 1.000 Jahre alt." Dann wendet sich der alte Haudegen mit dem Schlapphut auf dem grauen Schopf seinen legalen Geschäften zu. Ein neuer Trupp Wanderer ist im Camp eingetroffen. Adan muss ihnen die Betten zuweisen.

Mysteriöses Volk

Rückblende um sechs Stunden. Um elf Uhr vormittags sitzen einander elf Touristen in einer Gaststube im Dorf namens Mamey, dem Ausgangspunkt der Wanderung, gegenüber. Ein Jeep hat sie die zwei Stunden von der kolumbianischen Küstenstadt Santa Marta hierhergebracht. In der Gruppe sind Spanier, Franzosen, Deutsche, ein Schweizer. Kolumbianer fehlen. Die meisten sind typische Backpacker, zwischen 20 und 30 Jahre alt.

Alle sind noch etwas schüchtern, macht aber nichts, denn Führer Wilson Montero übernimmt ohnehin das Reden. Die Verlorene Stadt wurde ab 700 nach Christus von dem mysteriösen Tairona-Volk erbaut, auf einem Bergplateau in der Sierra Nevada, rund 80 Kilometer von der Karibikküste entfernt, erklärt Wilson. Als die Spanier im heutigen Kolumbien einfielen, verschwanden die Tairona auf Nimmerwiedersehen in den Bergen. Erst 1975 entdeckte ein Grabplünderer die Ruinenstadt.

Todesschwadronen und Guerilla

Um Punkt eins ist Abmarsch. Bald bilden Sand und vertrocknete Vegetation links und rechts einen mannshohen natürlichen Wall, der trotz 35 Grad Lufttemperatur kaum Schatten bietet. Zum Glück mildern kurze Regenschauer die sengende Hitze. Irgendwo hinter der grünen Bergkette am Horizont verstecken sich die höchsten schneebedeckten Gipfel Kolumbiens, der Pico Colón und der Pico Bolivar.

Beim Aufstieg fallen Flächen ins Auge, auf denen die Bäume deutlich niedriger stehen. Ehemalige Kokafelder, sagt Wilson. Für die Bauern war der Kokaanbau ein lukratives Geschäft. Reich damit wurden aber die Paramilitärs, an die sie ihre Kokaernte verkaufen mussten. Bis 2005 hatten diese rechten Todesschwadronen die Gegend unter Kontrolle, dann gaben sie die Waffen ab. Zu dieser Zeit war es für Touristen gang und gäbe, an illegalen Kontrollpunkten von Bewaffneten angehalten zu werden. Probleme habe es aber nie gegeben, meint Wilson. Der Chef der Paramilitärs hatte die Order ausgegeben, keinem Wanderer dürfe ein Haar gekrümmt werden. Die linke Guerillagruppe ELN sah das offenbar ähnlich. Sie entführte 2003 acht ausländische Reisende. Nach dreimonatigen Verhandlungen ließen die Rebellen ihre Geiseln unbeschadet frei.

Anstrengende Wanderung

Der Weg zur Verlorenen Stadt sei seither hundertprozentig sicher, sagt Wilson. Der bewaffnete Konflikt zwischen linken Rebellen und Armee spielt sich in anderen Ecken des Landes ab. Wilson muss es wissen: Seit 22 Jahren führt der 44-Jährige Wandergruppen durch die Sierra Nevada und ist damit einer der dienstältesten Tourguides.

Als die Gruppe am späten Nachmittag über eine knarrende Hängebrücke im Basiscamp 1 eintrifft, hat sie gerade einmal sieben Kilometer zurückgelegt. Es ist nicht so sehr die Entfernung, sondern das ständige Auf und Ab über Sand und Felsgrund, das in die Knochen geht. Unter einem Holzdach befinden sich acht Doppelstockbetten, rechts daneben eine offene Küche mit einer Feuerstelle in der Mitte und vollgeräumten Regalen an den Seiten. Die Köchinnen im Lager haben Hendl und frischen Salat zubereitet. Der Proviant wird, genauso wie die sonstige Ausrüstung, auf Maultieren von Santa Marta in die Berge gebracht.

Goldene Zeiten

Die Dunkelheit bricht ein. Campbetreiber Adan sinniert über seine goldene Zeiten als Schatzsucher. Die Sierra Nevada war zu den Zeiten der Tairona dicht besiedelt, kein Vergleich mit heute: "Alle halbe Stunde Fußmarsch stand ein Dorf, mit 20, 30 Terrassen", sagt er. Es waren diese Terrassen, die die Grabräuber magnetisch anzogen, denn dort hatten die Indígenas Gold und Keramiken vergraben, Gaben an die Toten und die Götter. Viele Nächte zog Adan mit Schaufel und Krampen aus, um in den Ruinen nach Schätzen zu graben. Gut 20-mal hatte er Glück, fand Steine, Keramiken, manchmal auch etwas Gold. Reich geworden ist er damit nicht.

Guaqueros, so nennen die Kolumbianer die Grabräuber. Bis zu 3.000 soll es in den 1970er-Jahren in der Sierra Nevada gegeben haben. Sogar eine Gewerkschaft gründeten sie in Santa Marta, mit Ausweis und allem Drum und Dran. Ihre Ware verkauften sie an Hehler in der Karibikstadt, die die Kostbarkeiten an reiche Sammler im Ausland weiterverhökerten. Nur ein Bruchteil des Tairona-Goldes landete in den Goldmuseen von Bogotá und Santa Marta. Erst als die Regierung Anfang der 90er-Jahre die im Boden lagernden Kulturschätze zu Gemeingut erklärte und den Handel damit verbot, ging die Grabräuberei deutlich zurück.

Allgegenwärtige Kolibris

Während die Truppe am nächsten Vormittag durch das Flusswasser watet, zeigt Wilson auf einen Felsen am Ufer. Dort sei vor vier Monaten ein Jaguar gesichtet worden, sagt er. Auch Pumas und Ozelote sind in den Bergen heimisch. Abgesehen von den allgegenwärtigen Kolibris ist von der Tierwelt aber nicht viel zu sehen. Dafür müsste man nachts oder im Morgengrauen auf Expedition gehen, sagt Wilson.

Ein Wanderer eilt vorbei. Er ist um die 40 Jahre alt und, seinem Laufschritt nach zu urteilen, in ausgezeichneter Form. Santiago Giraldo ist gestern aus Bogotá in Santa Marta eingetroffen. Heute macht er den Anstieg zur Verlorenen Stadt an gerade mal einem Tag. Er will die letzten Arbeiten seines Teams begutachten. Giraldo war staatlicher Chefarchäologe der Verlorenen Stadt. Nun erforscht und restauriert er die Ruinen im Auftrag der US-Stiftung Global Heritage Fund.

Überlebende der Überlebenden

Die Tairona-Krieger lieferten sich 80 Jahre lang einen Guerillakampf mit den Spaniern, erzählt Giraldo. Am Ende waren es von den Europäern eingeschleppte Krankheiten wie Typhus, Grippe und Pocken, die die hochentwickelten Indígenas besiegten. "Hier in der Sierra Nevada lebten 300.000 bis 350.000 Menschen. Gegen 1600 waren von ihnen noch etwa zehn Prozent am Leben."

In einem Bach klopft eine ältere Kogi-Indianerin mit einem Stein auf ein Hemd, um den Dreck zu lösen. Die etwa 10.000 Kogi sind leicht an ihrer weißen Leinenkleidung zu erkennen. Die Männer tragen zudem eine konisch geformte Kappe, ebenfalls in Weiß. Die Kogi verstehen sich als direkte Nachfahren der Tairona. "Sie sind die Überlebenden der Überlebenden, so wie die Franzosen Nachfahren der Kelten sind", relativiert Giraldo. Epidemien zerstörten das soziale Netz der Tairona, viel Wissen ging verloren.

Plündernde Entdecker

Die Spanier setzten nie einen Fuß in die Verlorene Stadt. Ausgerechnet ein Grabräuber namens Julio Cesar Sepúlveda war es, der die Ruinen 1975 entdeckte. Giraldo erzählt seine Geschichte, die in der Gegend bereits Legendenstatus hat: "Sepúlveda war auf der Jagd und schoss einen Vogel. Der fiel auf die Stufen einer überwachsenen Treppe, die zur Verlorenen Stadt führte." Heimlich raubte der Plünderer die Terrassen aus. Seine Goldobjekte weckten bald die Gier von Konkurrenten, die Sepúlveda in einem Hinterhalt töteten.

"Der besorgte Chef der Grabräuber, Jaime Barón, rief das Goldmuseum in Bogotá an und bot dem Direktor einen eigenwilligen Deal an: ,Warum plündern wir die Verlorene Stadt nicht zusammen?'", erzählt Giraldo weiter. Der überraschte Museumsdirektor schlug das Angebot aus und informierte stattdessen die Regierung, die 1976 Archäologen und Soldaten schickte. Die Wissenschafter begannen die Ruinen systematisch zu erforschen, geschützt vom Militär.

Erschöpfung schlägt in Aufregung um

Am nächsten Morgen ist allen leichte Aufregung anzumerken. Heute ist der dritte und entscheidende Tag, die Verlorene Stadt wartet. Einige Hundert Meter hinter dem Camp beginnt eine steinerne Treppe. Eines der wenigen Schilder während des Trecks weist den Weg nach oben. Auf 1.200 Meter Höhe gibt der Dschungel ein rund 500 Meter langes Bergplateau preis, das von runden und ovalen Steinterrassen bedeckt ist. Der Schritt wird schneller, die Erschöpfung schlägt in Aufregung um.

Die Tairona-Gesellschaft war polygam. Auf jeder Terrasse wohnte eine Familie, sagt Wilson. Der Mann und seine Frauen lebten in getrennten Häusern. Weil die Gebäude aus Holz gefertigt waren, blieben sie nicht erhalten. Die von kurz geschnittenem Gras bedeckten Terrassen wirken dagegen wie frisch angelegt, fast wie in einem englischen Garten. Das ist auch das Verdienst von Santiago Giraldo, der bereits am Vortag eingetroffen ist. Allein letzten Monat hat sein Team fünf Terrassen instand gesetzt, sagt Giraldo.

Kein zweites Machu Picchu

Oberhalb der Plattformen stehen mehrere Soldaten Wache. Bereitwillig schwatzen sie mit den Besuchern. "Vor zehn Jahren war es hier noch unsicher, jetzt haben wir keinerlei Probleme mehr. Die Leute fragen uns trotzdem jeden Tag danach. Wir haben schon einen Mustertext als Antwort einstudiert", sagt einer von ihnen. Zwei weitere Wandergruppen kommen auf dem Gipfel an. Insgesamt sind es nicht mehr als 50 Besucher, die in der Morgensonne Selfies mit den Bergen der Sierra Nevada im Hintergrund schießen.

Die Verlorene Stadt ist ein Geheimtipp, und daran soll sich auch in Zukunft nichts ändern. Nur fünf Agenturen in Santa Marta und dem Badeort Taganga dürfen die Tour anbieten. Alleine wandern ist nicht möglich. Dies entschieden 2010 die Führer der Kogi-Indianer, durch deren autonomes Territorium der Wanderweg führt. Weder Parkverwaltung noch die Indígenas wollten, "dass sich die Verlorene Stadt in ein Machu Picchu oder Angkor Wat verwandelt", sagt Giraldo. Sein Vergleich ist mutig. Die Ciudad Perdida ist sicherlich die beeindruckendste präkolumbische Stadt Kolumbiens. Neben der Inkafestung in Peru und der Tempelanlage in Kambodscha nehmen sich die Tairona-Ruinen dann aber doch eine Spur bescheidener aus.

Aussterbender Berufszweig

Viel Zeit zum Genießen des Postkartenblicks vom Plateau aus bleibt nicht. Schon nach einer Stunde trommelt Wilson die Gruppe zum Abstieg zum Basiscamp 2 zusammen. Dort angekommen, verabschieden sich die meisten Mitwanderer. Sie haben die Vier-Tages-Tour gebucht und müssen am nächsten Tag schon im Morgengrauen aufbrechen, um an einem Tag bis nach Mamey zurückzugehen.

Zurück im ersten Camp, bleibt Zeit für einen Schwatz mit Adan. Auf die Frage, warum das Grabplündern ein aussterbender Berufszweig sei, gibt er eine kuriose Antwort: "Um zwei, drei Edelsteine zu finden, muss man Löcher von bis zu vier, fünf Metern schaufeln. Das ist harte Arbeit. Und die Jugend von heute will nicht mehr arbeiten." (Thomas Wagner, RONDO, 27.4.2017)

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