Die jüngsten Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Ungarn sind nur weitere Mosaiksteine im traurigen Wandel des Landes vom hoffnungsfrohen Beitrittswerber nach dem Sturz des Kommunismus 1989 zum antieuropäischen Sorgenkind. Seit Viktor Orbán im Jahr 2010 als Premier antrat, geht das so.

Kaum hatten er und seine Fidesz-Partei die verfassungsgebende Mehrheit im Parlament, starteten sie ihr autoritäres Experiment gegen Andersdenkende im Land – und gegen Grundrechte. Er ging zuerst gegen unliebsame Richter, dann gegen die Medien vor. Er startete Gesetzesprojekte, die politische Gegner bei Wahlen benachteiligen sollten, ebenso versuchte er die Religionsfreiheit einzuschränken. Mehrfach hat die Kommission deswegen Verfahren gegen die Orbán-Regierung geführt oder Mahnungen ausgesprochen, dass diese EU-Regeln einzuhalten habe.

Und immer wieder hat Orbán eingelenkt, oft freilich erst, wenn die berechtigten Empörungswellen gegen sein Gehabe schon wieder abgeklungen waren. So ähnlich könnte es auch diesmal sein, wenn es um die dubiose Hochschulreform und seine "Anti-EU-Volksbefragung" geht.

Orbán stellt sich derzeit dumm: Man werde doch das Volk noch fragen dürfen! Sicher. Die Kommission darf aber auch nicht lockerlassen, juristischen und politischen Druck auf diesen reaktionären Provokateur zu machen, der die liberale europäische Werteordnung missachtet. (Thomas Mayer, 26.4.2017)