"Awfulizing": ein kultiviertes kollektives "alles Schlechtmachen".

Foto: Caroline Vlasek

Wir Menschen seien "Angstwesen", sagte Matthias Horx, Gründer des Zukunftsinstituts bei einer Konferenz des Coachinganbieters Future im April am Chiemsee in Bayern. Dort ging es zwei Tage lang darum, wie Führungskräfte sich, Mitarbeiter und Unternehmen auf Digitalisierung und Globalisierung vorbereiten. Horx gab seinem Publikum eine "Anleitung zum Zukunftsoptimismus". Denn was die Gesellschaft derzeit am stärksten belaste, sei das "Awfulizing": ein kultiviertes kollektives "alles Schlechtmachen". Es sei evolutionsbedingt. "Wir sind die Nachfolger der Übernervösen. Wir sind auf Mangel und Gefahr adaptiert." In der Steinzeit konnte schließlich das Unterschätzen einer Bedrohung den Tod bedeuten.

So überlebenswichtig sie für unsere Vorfahren auch gewesen sei – heute gerieten durch die Negativperspektive mögliche Lösungen aus dem Blick: Indem man sich zu sehr auf das Problem konzentriere, mache man es zu einem "Skript im Gehirn", sagt Horx, wodurch Veränderung unmöglich werde. "Wollen Sie mit dem Rauchen aufhören, klappt das auch nicht, indem Sie ständig auf das Rauchen schauen. Dann denken Sie nämlich andauernd an die Zigarette."

Verderbtheit des Ganzen

Was helfen soll: "Das Problem von einem anderen Ort aus betrachten", sagt Horx – und zwar der Zukunft. Wer etwa erfolgreich mit dem Rauchen aufhören will, brauche "eine Verabredung mit seinem Zukunfts-Ich". Diese neue Perspektive verhelfe zu neuer Kraft. "Dann ist Wandel leicht", dann sei Zukunft "spürbar, auch ganz instinktiv", und nicht mehr nur logisch erfassbar.

Warum aber die Tendenz zum Negativen, wenn sie schadet? Einerseits diene sie Menschen dazu, die Verantwortung abzugeben, sagt Horx. Andererseits sei sie eine Art Kontrollversuch – Motto: Wir wussten ja, dass es schlecht ausgehen wird. Einzelne Beispiele würden dann als Beweis für die Verderbtheit des Ganzen gedeutet, jeder Rückschlag als Beweis einer bevorstehenden Katastrophe.

Zu jedem Trend ein Gegentrend

"Mittlerweile wird das Awfulizing geschichtsmächtig", sagt Zukunftsforscher Horx und nennt als Beispiel die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Als Katalysatoren des Awfulizing wirkten die digitalen Medien, in denen ein permanenter Wettbewerb um Aufmerksamkeit herrscht. Zu allem Guten, das passiert, entstehe eine kognitive Dissonanz, sprich: Positive Nachrichten erhalten nicht dieselbe Aufmerksamkeit. "Sie verlieren immer gegen das Signal 'Problem' im Gehirn."

So steige etwa die Lebenserwartung stetig, Menschen seien länger bei guter Gesundheit als früher – problematisiert werde jedoch meist nur die Alterung und damit einhergehende Probleme. Die Anzahl der Opfer von Naturkatastrophen, ebenso jener von Kriegen, nehme ab, der Alphabetisierungsanteil weltweit zu – allesamt Fakten, die es selten in die bewusste Wahrnehmung schafften. "Denn wir können das schwer aushalten", sagt Horx.

Wichtig: Mediale Achtsamkeit

Die Folgen des Schwarzmalens: Die Welt werde nicht mehr in ihrer Komplexität erfasst. Wichtig sei daher "mediale Achtsamkeit": zu erkennen, "wie die Welt in ihrer Paradoxität eine Richtung hat". Das bedeute nichts anderes als "paying attention to what you are paying attention" – häufiger die Aufmerksamkeit darauf zu richten, wie das Gehirn Wirklichkeit konstruiert.

Es gelte, verstehen zu lernen, "dass die Welt nicht eindimensional funktioniert", nicht schwarz-weiß. Jeder Trend habe einen Gegentrend: die Globalisierung die Regionalisierung, die Digitalisierung das Offline-Gehen, die Individualisierung die Sharing Economy, das Co-Working und Co-Housing. Eine gelungene Zukunft erfordere genau diese Vernetzung, genau diese Beziehungen.

Versuche man erst, ein Problem in seiner Ganzheit und Komplexität zu verstehen, sei "die Lösung oft inklusive", stellt Horx in Aussicht. Schließlich könnten in der Vorbereitung auf die Zukunft Vertrauen und Gelassenheit helfen. Auch "das Lachen ist eine große Produktivkraft". (Lisa Breit, 2.5.2017)