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Wien – Die zerstrittenen Parteiflügel der Wiener SPÖ haben sich bei der Wahl ihres Vorstands am Landesparteitag gegenseitig abgestraft: SPÖ-Chef und Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat nur rund 77,4 Prozent bei seiner Wiederwahl als Parteivorsitzender bekommen. Bei seiner letzten Kandidatur 2015 erreichte Häupl noch 95,8 Prozent. "Wir sind alle gewählt. Was als nächstes ansteht, ist gemeinsame Arbeit in gemeinsamer Verantwortung", sagte Häupl: "Natürlich habe ich mir ein anderes Ergebnis erhofft, aber es ist demokratisch hinzunehmen."

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Auch Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, der große Ambitionen auf die Nachfolge Häupls hegen soll, verlor als einer der fünf Stellvertreter Häupls stark. Von 89,6 Prozent ist Ludwig auf nur 67,8 Prozent abgerutscht, sein Ergebnis ist das drittschlechteste des gesamten Vorstands. "Ich habe mich für einen Parteitag der Geschlossenheit eingesetzt, mich bemüht, dem Polarisieren entgegenzuwirken", sagte Ludwig in einer ersten Stellungnahme. "Jetzt gilt es noch stärker, mit ganzer Energie und vereinten Kräften die täglichen Herausforderungen in unserer Stadt anzupacken. Nach der Wahl ist vor der Wahl."

Alle Vorstandsmitglieder wurden mit mehr als 50 Prozent bestätigt.

"Das ist für niemanden ein besonders gutes Ergebnis", sagte Landesparteisekretärin Sybille Strubinger dem STANDARD: "Wir hätten uns das anders und einigender gewünscht." Aber der Konflikt, der seit Monaten geschürt und über die Medien ausgetragen wurde, sei nicht innerhalb von ein paar Tagen und Wochen vom Tisch zu wischen gewesen. Trotzdem: "Alle Vorstandsmitglieder sind mit einer Mehrheit gewählt worden. Jetzt können Personaldebatten ad acta gelegt werden", sagt Straubinger.

Auch dürfte es bei der Wahl zum Wiener Vorstand – wie oft im Vorfeld spekuliert – zu koordinierten Streichungen gekommen sein. So wurden auf der Frauentoilette der Halle Spickzettel gefunden, mit der Liste der Kandidaten und dem Hinweis, welche Personen man streichen sollte. Auf der Streich-Liste standen neben Häupl unter anderen Finanzstadträtin Renate Brauner und Gesundheitsstadträtin Sandra Frauenberger.

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Das schwächste Ergebnis im Vorstand hat Häupl-Kritiker Harald Troch erreicht, der Simmeringer SPÖ-Chef schaffte nur 65,0 Prozent bei seiner Wahl als Beisitzer im Vorstand. 2015 waren es noch 83,9 Prozent.

Brauner wurde mit dem zweitschlechtesten Ergebnis des Vorstands als stellvertretende Vorsitzende mit nur 67,5 Prozent bestätigt, 2015 schaffte sie noch 80 Prozent: "Das Ergebnis ist Ausdruck der öffentlichen Diskussion der letzten Monate und Auftrag, die Diskussion wieder im Inneren zu führen", erklärte Brauner. In der gleichen Funktion bestätigt wurden Kathrin Gaal mit 81,2 Prozent (2015: 87,7 Prozent), Ruth Becher mit 78,7 Prozent (2015: 90,5 Prozent) und Christian Meidlinger mit 88,0 Prozent. Letzterer wurde erstmals als Stellvertreter Häupls gewählt.

Letzte Kandidatur für Häupl

Häupl hatte zuvor bei seiner Rede am Vormittag bekräftigt, dass dies seine letzte Kandidatur zum Parteivorsitz sein werde. Zu seiner Nachfolgeregelung sagte er vor den rund 1000 Delegierten: "Ich bekenne mich dazu, dass die Nachfolgediskussion nicht so verläuft, wie wir das in anderen Bundesländern gesehen haben. Ich fühle mich weder als Landeskaiser noch als Erbhofbauer."

Häupl werde seine Nachfolge "zu gegebener Zeit, unmittelbar nach der Nationalratswahl, diskutieren", sagte er bei der Veranstaltung in der Messe Wien. "Nicht ich bestimme, wer die Partei in Zukunft führt, sondern der Parteitag". Häupl ließ offen, ob es dann einen Wahlvorschlag oder mehrere Wahlvorschläge geben wird. Zum Abschluss seiner rund einstündigen Rede erhielt er vom überwiegenden Großteil der anwesenden Genossen Standing Ovations.

Standing Ovations für Bürgermeister Michael Häupl.
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FPÖ "noch schlimmer, als man glaubt"

Zuvor teilte Häupl erneut gegen die FPÖ aus. So habe man von den Freiheitlichen noch nie etwas zur sozialen Frage gehört, sagte der Bürgermeister. "Hauptsache, sie können jedes Mal den gleichen Sermon bringen: 'Die Ausländer sind schuld.' Blöder geht's nimmer." Die FPÖ sei "noch schlimmer, als man glaubt".

Spitze gegen grünen Koalitionspartner

Dem grünen Koalitionspartner warf Häupl vor, dass dieser bei großen Verkehrsinfrastrukturprojekten wie dem Lobautunnel oder bei der seit Monaten ausstehenden Mindestsicherungsreform bremsen würde. Dazu komme "das Theater um das Projekt am Heumarkt".

Eine Regierung sei "dazu da, dass sie regiert und entscheidet. Opposition und regieren geht gleichzeitig nicht. Man muss sich entscheiden: entweder, oder."

Proteste gegen Kern vor Auftritt

Bundeskanzler Christian Kern absolvierte zuvor seinen Premierenauftritt beim Wiener Landesparteitag. Vor seiner Rede protestierte vor der Messe Wien die Parteijugend gegen den Kanzler mit Transparenten wie "Christian, Vorsitzender welcher Partei bist du eigentlich???" oder aufgeklappten Pizzaschachteln, auf denen stand: "Christian, du Werner". Vertreter der Sozialistischen Jugend (SJ) und des Verbands Sozialistischer StudentInnen Österreichs (VSStÖ) demonstrierten damit etwa gegen die Haltung Kerns in der Flüchtlingsfrage oder seinen PR-Auftritt als Pizzabote.

"Christian, Vorsitzender welcher Partei bist du eigentlich?????", stand auf einem Transparent vor der Messe Wien zu lesen. Auf einer aufgeklappten Pizzaschachtel stand: "Christian, du Werner. Gegen die Festung Europa".

In seiner Rede würdigte Kern die Verdienste Häupls: "Lieber Michael, der Grund, warum wir heute so stolz auf diese Stadt sind, hat damit zu tun, wie du diese Stadt geführt hast." Kern zeigte sich zuversichtlich, dass Häupl seine Nachfolge gut regelt. "Ich bin davon überzeugt, genauso wie du diese Stadt geführt hast, mit der selben Umsicht, mit der selben ruhigen Hand, wirst du die Weichenstellungen vornehmen."

Dass die Nachfolge Häupls frühestens 2018 schlagend wird, bekräftigte Kern erneut. Schließlich hatte Häupl selbst bekannt gegeben, drei Monate nach den kommenden Nationalratswahlen zu gehen. "So lange wir noch Fortschritte machen, werden wir an der Koalition festhalten", sagte Kern: "So lange ist der Wahltermin 2018."

Kanzler Christian Kern bekräftigte am Landesparteitag der SPÖ Wien: "Wahltermin 2018."
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Streichungen befürchtet

Mit seiner Zusage, den Sitz als SPÖ-Chef in Wien freizumachen, besänftigte Häupl vorerst seine Kritiker, die in den vergangenen Monaten vermehrt seinen Rücktritt gefordert hatten. Er hatte bei seiner Wiederwahl zum Parteichef am Samstag keinen Gegenkandidaten. Befürchtet wurde dennoch, dass die beiden rivalisierenden SPÖ-Gruppen, also der linke und der rechte Parteiflügel, sich gegenseitig abstrafen werden.

Kritik von Opposition: "Obergrantler"

Die FPÖ reagierte auf Häupls Rede in eine Aussendung: "Nicht, dass wir uns vom Parteitag einer zerrütteten Wiener SPÖ wirklich viel erwartet haben, aber dass ein schwer angeschlagener Bürgermeister mit seinen Ausfällen gegenüber der FPÖ und ihren Wählern erstaunlich behände unter der Tiefstniveaulatte durchgetänzelt ist, hat doch erstaunt", erklärte der Wiener FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache. Er bezeichnet Häupl weiters als "Wiener Obergrantler" und "Hauptverantwortlichen für eine heillos zerstrittene und weitgehend regierungsunfähige SPÖ-Wien".

Die ÖVP forderte hingegen "Hausverstand, statt Klassenkampf", schreibt ÖVP Wien-Landesparteiobmann Stadtrat Gernot Blümel . "Die soziale Frage unserer Zeit ist die Ausbeutung des Mittelstandes", so Blümel: "Wien muss endlich zur Stadt der Leistungswilligen werden, statt immer mehr die Hauptstadt der Leistungsbezieher zu sein".

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger meinte, die Zeit sei "reif für einen System- und Personalwechsel". Häupl führe "eine Stadtregierung, der jeder Gestaltungswille fehlt", so Meinl-Reisinger in einer Aussendung. "Ich wünsche mir eine Aufbruchstimmung für die Stadt und damit auch eine jüngere Generation an Politikerinnen und Politikern – gerade auch für das Bürgermeisteramt." (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 29.4.2017)