Ligia Lewis zeigt unterhaltungsindustriell geprägte Existenzen.

Foto: David Visnjic / Donaufestival

Krems – Die Irritation darüber, was Natur sein soll, führt seit Menschengedenken zu den wunderlichsten Darstellungen eines ungelösten Konflikts. Durch die Welt dieser Darstellungen steuern der bildende Künstler Karl Karner und die Choreografin Linda Samaraweerová seit Jahren ihre abgründigen Performances. So auch jetzt in der Uraufführung ihres jüngsten Werks Würfeln III beim Kremser Donaufestival. Im ersten von zwei Festivalwochenenden ließen sich vier performative Arbeiten mit der Kultur menschlicher Desintegration von der "Umwelt" verbinden.

Das Festivalthema "Empathie" hinter dem Motto "Du steckst mich an" bietet gute Voraussetzungen dafür, denn die Infektion ist gleichermaßen ein biologischer wie sozialer Prozess. Die Österreicher Karner und Samaraweerová führen in eine dunkel sinnliche Atmosphäre der Naturverkünstlichung, mit der die beiden jene Ratlosigkeit hervorstreichen, die der Mensch-Natur-Konflikt auslöst.

Hinein in die "Natur" der Haut

Eine ähnliche Desorientiertheit findet sich in dem Trio "minor matter" der nach Berlin eingewanderten US-Amerikanerin Ligia Lewis wieder. Zwei Männer und eine Frau, insgesamt normativ jung und fit, schwindeln sich kapriziös durch die Nebel ihrer unterhaltungsindustriell gestalteten Existenz. "I'm standing on the edge of something, and I don't know what to do", wird geklagt und: "We're all stuck in this thing, it's impossible to get out of that."

Doch, es geht, und die Wienerin Doris Uhlich weiß einen Weg. Sie hat sich mit rund dreißig Tänzerinnen und Tänzern bis auf die Schuhe ausgezogen und ein "Habitat" in der (säkularisierten) Kremser Dominikanerkirche eingerichtet: heraus aus der Peinlichkeit camouflierender Stofffassaden und hinein in die "Natur" der jeweils so gut wie eigenen Haut. Junge und alte, dürre und dicke, straighte und queere Körper werden geschüttelt und gerührt – ganze fünf Stunden lang. Eine Zeit, die der Blick dringend braucht, um sich von dem zähen Dreck seines von Kommerz und Porno verpickten Blicks zu befreien und aus der verschämten Arroganz zu finden, die sich hinter der Täuschung verbirgt, man wäre unter den Schalen, die vermeintliche Schönheitsfehler kaschieren sollen, einigermaßen sicher.

Mehr als nackt

Nun hat Uhlich, die bereits seit vier Jahren konsequent an der bisher schwierig gewesenen Auslotung eines "mehr als nackten" Körpers arbeitet, ihren Durchbruch vollzogen: Sie konnte Figuren von überaus unterschiedlicher Gestalt zu einer durch diese Differenziertheit emanzipatorischen Gemeinschaft verbinden.

Ganz im Gegensatz dazu lässt Kris Verdonck bei seiner choreografischen Installation In Void den Körper komplett weg. Der Belgier begegnet dem technikversessenen Zweig des Posthumanismus, der sich in "biologistischer" Hybris anmaßt, den menschlichen Körper zwangsweise verbessern zu sollen, mit entsprechend bissiger Ironie.

Eine zuschnappende Mausefalle, eine druckluftjapsende, hüpfende und kippende Persiflage auf die Silikon-Valley-Ikone R2D2, eine ins Riesenhafte aufgeblähte künstliche Mikrobe und eine überdimensionale, reglos im Dunkeln lauernde, filzüberzogene Kugel spiegeln den Nihilismus hinter dem konzerngesteuerten Vernichtungsprogramm des digitalen Erlösungsmythos wider.

Kritik und Entzauberung

Keine dieser vier Arbeiten ist technikfeindlich, kulturpessimistisch oder gar von naiver Naturschwärmerei durchflossen. Vielmehr liegt in ihnen ein Drang zu deutlicher Differenzierung.

In Ligia Lewis' minoritärpolitisch gemeintem Ratlosigkeitsritual steckt auch Kritik an den blinden Flecken der Kulturtheorie. Doris Uhlich feiert nicht die Naturreligiosität des 19. Jahrhunderts nach, sondern geht unter anderem gegen das Regime des gestylten Werbekörpers an. Kris Verdonck entzaubert den Fetisch Maschine. Und Karner/Samaraweerová machen subtil jene Melancholie erkennbar, die aus dem Eindruck resultiert, der Mensch-Umwelt-Konflikt wäre schon entschieden. (Helmut Ploebst, 1.5.2017)