Wien – Übers Alter muss im Falle des schwedischen Dirigenten Herbert Blomstedt kurz gesprochen werden – ein gewisses Staunen ist ja nicht zu leugnen: Es ist in der Tatsache begründet, dass der Maestro am 11. Juli 90 Jahre alt wird, jedoch keine Anzeichen erkennen lässt, dies würde ihn beim Gestalten von Musik im Wege stehen. Zu konstatieren sind nur gelassene Erfahrung und ein – sich daraus ergebender – Überblick über die Werktektonik, der im Musikverein ein delikater philharmonischer Klang zur Seite stand.

In Summe entwickelte sich Anton Bruckners Romantische zu kathedralenhafter Pracht, ohne dass billige Effekte bemüht wurden. Bruckners vierte Symphonie ist ja auch ein Rätsel an episodenhaft sich aneinanderschmiegenden Momenten. Eruptiver Bläserüberschwang folgt auf Stille oder Inseln "sanglicher" Poesie. Blomstedt (das Orchester gastiert mit ihm in Berlin am 4. Mai und in Baden-Baden am 5. Mai) weicht keinem heiklen Bereich aus, führt Strukturen auch nahe an die Stille.

Die Blechmassen

Als wollte er dabei das Unbewusste der Symphonie erhellen, nimmt er Dynamik zurück, ist dann aber der forsch reagierende Künstler, der den Kontrast sucht und die geordneten Blechmassen schon im Kopfsatz sich aufbäumen lässt. Wie das aber bei Könnern so ist, schafft Blomstedt die Balance zwischen Ausgewogenheit des Ganzen und der Erweckung von Nuancen und Brüchen.

Exzesse meidet er denn auch ebenso wie die Nivellierung von Gegensätzen. Die philharmonischen Geigen können Nachdenklichkeit ausdrücken wie auch gerne Kühle und glühende Lyrik. Dann wiederum entfaltet sich die maschinell-repetitive Anlage des zweiten Satzes diszipliniert, nimmt imposante Ausmaße an. Im Finale war dann diese Reise durch diverse Ausdrucksvaleurs dank der Philharmoniker noch einmal packend zu erleben.

Zuvor Mozart Symphonie in Es-Dur, KV 543: süßlich, gravitätisch im ersten Satz, leicht geziert im zweiten, mit erhellender Leichtigkeit im dritten und klar im vierten. Wer das alles verpasst hat, muss bis Oktober warten. Dann wird das Gewandhausorchester Leipzig zu einigen Konzerten in den Wiener Musiverein anreisen – mit Herbert Blomstedt. (Ljubiša Tošić, 2.5.2017)