In dem lesenswerten Buch von Hans Rauscher "Was gesagt werden muss, aber nicht gesagt werden darf" steht unter anderem der Satz: Der europäische und der muslimische Lebensstil sind nicht problemlos vereinbar. Problemlos sicher nicht. Aber was tun wir, um die bestehenden Probleme zu lösen? Denn an einer Tatsache ist nicht zu rütteln: In Österreich leben derzeit rund 600.000 Muslime, das sind sieben Prozent der Bevölkerung. In Wien sind es 12,5 Prozent. Die allermeisten von ihnen werden hier bleiben und an ihrer muslimischen Identität festhalten. Entweder wir schaffen es, ihre und unsere Lebensstile kompatibel zu machen, oder wir müssen mit einer misstrauischen und von der Mehrheit mit Misstrauen beäugten Parallelgesellschaft leben.

Kurzer Rückblick auf eigene Migrationserfahrungen: Ich kam mit dreizehn Jahren als Flüchtlingskind aus Prag nach Österreich, in den salzburgischen Lungau. Schule und Umgebung gaben mir meine neue Lebensweise vor: Du bist jetzt ein Alpenmädel, stolz auf deine Bergheimat, du trägst ein Dirndl und vergisst, woher du kommst. Meine Reaktion: Trotz und Bockigkeit. Von Integration war damals noch nicht die Rede, aber mir war klar: Das kann ich nicht, und das will ich nicht. Integration gescheitert. Das änderte sich, als ich später nach Wien kam. Da war plötzlich ein Österreich, in dem Spuren des einstigen Vielvölkerstaats noch sichtbar waren, da waren die Bücher von Joseph Roth und Robert Musil, da war Weite und Offenheit. Hier konnte ich mich wiederfinden. Integration gelungen.

Was kann man daraus für die Situation der heutigen Zuwanderer lernen? Es wird von ihnen Anpassung verlangt, und das ist auch in Ordnung, wenn es dabei um Rechtsstaat, Demokratie, Gleichberechtigung der Geschlechter geht. Ehrenmorde und Zwangsheiraten sind ein No-Go. Aber keine Kopftücher? Keine sichtbaren Moscheen? Keine adäquate Repräsentation in der Gesellschaft? Wenn wir wollen, dass sich die religiöse Minderheit der Muslime im Lande heimisch fühlt und sich mit Österreich identifiziert, dann müsste die Mehrheitsgesellschaft ihr ein Stück weiter entgegenkommen, als sie es derzeit tut. Aus gutem Grund spricht in Frankreich der mutmaßliche nächste Präsident, Emmanuel Macron, nicht mehr von französischer Kultur, sondern von Kultur in Frankreich. Das signalisiert Vielfalt.

Muslime beten heute in Österreich in versteckten Gebetsräumen wie seinerzeit die Juden und die Protestanten vor Kaiser Josephs II. Toleranzpatent. Dass es auch anders geht, haben die Bewohner von Bad Vöslau bewiesen: Dort gibt es eine gemeinsam entwickelte moderne Moschee, die einem öden Arbeiterviertel architektonisch gut tut und auch von der einheimischen Bevölkerung geschätzt wird. Moscheen sind für muslimische Zuwanderer ein Stück Heimat, man kann dort Familienfeste feiern, Verwandte und Freunde treffen. Wieder eine Parallele zu früheren Zuwanderungswellen: Für das Flüchtlingskind aus Prag waren die Barockkirchen in Österreich, die denen in Böhmen ähnlich sind, seinerzeit ein wichtiger Andockpunkt für das Leben im neuen, fremden Land.

Und ist es, wie die Aufregung um Bundespräsident Van der Bellens Sager suggeriert, wirklich so schwer, sich an Kopftücher im Straßenbild zu gewöhnen? Ja, sie sind im Koran nicht vorgeschrieben. Aber man trägt sie halt, weil das so Sitte ist. In London gab es vor Jahren eine Debatte um die Sikhs, die mit ihren Turbanen auf dem Kopf in der Großstadt Autobusse lenkten. Inzwischen sind die riesigen Dienstmützen dieser Männer, die auf deren Turbane passen, für alle Londoner vertrauter Anblick. Und ist es wirklich auf die Dauer vertretbar, dass muslimische Zuwanderer in der Lehrerschaft, der Polizei, den Behörden und den politischen Parteien so gut wie nicht vertreten sind? Hoch qualifizierte, demokratisch untadelige Leute gäbe es genug.

Österreich hat eine lange Tradition sowohl der Fremdenfeindlichkeit wie auch des erfolgreichen Umgangs mit Minderheiten. Muslimische und europäische Lebensweisen sind problemlos nicht zu vereinbaren, sagt Hans Rauscher. Stimmt. Aber die Probleme sind lösbar, und zwar nicht mit Strafen und Drohungen. Wenn das nicht geschieht, ist die Alternative eine gespaltene Gesellschaft, Zwist und letztlich auch Gewalt. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 3.5.2017)