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Emmanuel Macron.

Foto: Reuters/Benoit Tessier

Emmanuel Macron wird demnächst mit 39 Jahren als jüngster Präsident der V. Republik in den Élysée-Palast einziehen. Sein Lächeln und sein Optimismus geben auch der Bevölkerung wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Vor allem die Generationen Y und What? halten große Stücke auf ihn. Der neue Hoffnungsträger versucht ähnlich wie der frühere US-Präsident Barack Obama sich ein intellektuelles Image zu geben. Hinzu kommt ein großes Interesse der Klatschpresse, die ihn schon mal in Badehose mit Sixpack und mit seiner Ehefrau in Bikini zeigt. EM sieht wie ein Hollywood-Held aus, der nicht nur schön anzusehen ist, sondern erfreulicherweise zusätzlich wortgewandt, witzig und intellektuell auftritt.

Bilderbuchkarriere mit Philosophieabschluss

Seine Bilderbuchkarriere, die ihn bereits in jungen Jahren in das mächtigste Amt in einem "westlichen" Staat – es hat eine höhere Machtkonzentration als in den USA – beförderte, umfasst auch einen Philosophieabschluss. Die Weisheitssuche war zwar nicht sein Hauptstudienfach. Der Abschluss an der Elitehochschule für Beamten ENA war für seine weitere Karriere entscheidend. Dennoch hat er auch an der Uni Paris-Nanterre eine "maîtrise" zum Erwerb des heutigen Master-Titels mit einer Arbeit über Machiavelli und anschließend eine DEA (erstes Jahr des Doktoratsstudiums) mit einer Studie zum "intérêt général" mit Bezugnahme auf Hegels Rechtsphilosophie erworben. Macron war Assistent bei christlichen Philosophen Paul Ricoeur und hat über eines seiner letzter Bücher einen längeren Artikel in "Esprit" im Jahre 2000 veröffentlicht.

Über einige Details seines Bildungsweges herrscht aber noch immer etwas Unklarheit. Auf der französischen Wikipedia-Seite wird berichtet, dass der "En Marche!"-Begründer angegeben hat, bei dem Althusser-Schüler Étienne Balibar studiert zu haben, woran sich dieser aber nicht erinnern kann. Wie dem auch sei. Bis zu seinem ersten Amtszeitende werden genügend Publizisten seine Arbeiten in der Französichen Nationalbibliothek ausgegraben und durchstöbert haben, genügend Biographien erschienen und sein Buch "Révolution" (2016) ins Englische und Deutsche übersetzt und publiziert sein. Dann werden auch nicht mehr seine Texte im Mittelpunkt stehen, sondern es wird Resümee über die letzten fünf Jahre gezogen werden.

Platons Philosophenstaat

Nun ist nicht nur der Gewinner, der Günstling der Stunde im französischen Präsidentschaftswahlkampf mit einem Philosophie-Abschluss aufgetaucht, sondern auch ein zweiter Kandidat. Sein Linksaußen-Konkurrent Jean-Luc Mélenchon hat es auf erhebliche 19 Prozent der gültigen Stimmen gebracht. Beide zusammen haben immerhin 43 Prozent eingesammelt. Platon wäre damit für seinen "Philosophenstaat" sehr zufrieden gewesen. Wie Macron und Mélenchon in einem platonischen Staat zusammen arbeiten hätten können, darüber hätte aber nicht nur der griechische Philosoph grübeln müssen. EM hat aber auch keine ganz weiße politische Weste mehr. Nachdem er sowohl Präsident François Hollande als auch Regierungschef Manuel Valls mit seiner Kandidatur in den Rücken gefallen war, wurde er schon mal als "Brutus" tituliert. Die beiden revanchierten sich aber nicht, als sie bekannt gaben, bei den Wahlen trotzdem für Macron zu stimmen, weil er das geringere Übel sei.

Weder links noch rechts

Interessant ist auch, dass EM bei seinem Berlinbesuch während des Wahlkampfes neben einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel auch an einer Podiumsdiskussion mit dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und dem SPD-nahen "Frankfurter Schüler" Jürgen Habermas teilgenommen hat. Habermas ist trotz seines Alters noch immer einer der bedeutendsten Philosophen im deutschsprachigen Raum und gilt als "intellektuelles Gewissen der Nation". Macrons längeres Treffen mit SPD-Persönlichkeiten dürfte kein Zufall gewesen sein.

Wenn er sich in Frankreich als "weder links noch rechts" bezeichnen kann, so hängt das auch damit zusammen, dass es nie eine Sozialdemokratisierung des PS gegeben hat wie in Deutschland nach dem Fall der Mauer. Macrons Pläne, um den maroden Staat nach vorne zu bringen, erinnern nicht zufällig an die "Agenda 2010", als Rot-Grün den Arbeitsmarkt durch neoliberale Reformen stark umgestaltete, wovon Merkel und Deutschland ökonomisch bis heute profitieren. Einen Balance- und Hochseilakt aus Steigerung der Produktivität, der Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Absicherung hat auch Macron im Blick. Deshalb wird er vom Etatisten Mélenchon, der wie Marine Le Pen der EU den Rücken zuwenden will, falls diese nicht wesentliche Kompetenzen nach Paris zurück gäbe, aufs heftigste bekämpft.

Philosoph in der Politik

Wer Philosoph ist und in die Politik geht, muss noch lange nicht fortschrittlich, links oder sozialliberal sein. Frankreich hatte bereits einmal einen Philosophenminister. Es war Luc Ferry, ein Uniprofessor für Philosophie, der vom konservativen Premierminister Jean-Pierre Raffarin von 2002 bis 2004 als Minister für Jugend, Erziehung und Wissenschaft in die Regierung geholt worden war. Ferry wurde nach seiner Demission von Nikolas Sarkosy in mehrere weitere Kommissionen berufen. Mittlerweile kassiert er seine Pension als Uni-Professor, schreibt fleißig Bücher und Artikel und ist ein gern gesehener Kommentator bei französischsprachigen TV-Anstalten.

Und nun?

Zurück zu EM! Mal sehen, wie Machiavelli und Hegel Macrons politische Entscheidungen beeinflussen werden. Wie sehr wird seine ältere, sehr ehrgeizige Ehefrau Einfluss nehmen, die früher seine Lehrerin war? Oder wie sehr seine Jahre als Investmentbanker bei Rothschild? Wie wird seine Umweltpolitik aussehen? Wie die Frauenpolitik?

Nicht nur die USA und Frankreich warten noch auf die erste Präsidentin, sondern auch auf die erste Philosophin in einem Regierungsamt. Élisabeth Badinter ist eine feministische Philosophin. Aber es war "nur" ihr Mann Robert, der von 1981 bis 1986 als Justizminister einen Regierungssessel ergattert hatte. So warten wir noch immer auf Godot. Eine Physikerin als Kanzlerin gibt es schon. Ein Grüne mit abgebrochenem Theologie-Studium möchte gerne im Herbst ein Ministeramt ergattern. Aber Theologie ist ein ganz anderes Paar Schuhe. Vor allem in einem laizistischen Staat wie Frankreich, das seinen ersten Präsidenten mit Philosophie-Studium erhält. (Wolfgang Schmid, 7.5.2017)