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Wien – Wenn von 16. bis 18. Mai die Wahllokale der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) ihre Tore öffnen, sind Studierende an Universitäten, Privatunis, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen nicht nur dazu aufgerufen, ihre Vertretung für die kommenden zwei Jahre zu wählen, sondern auch dazu, die Stärke der ÖH zu beeinflussen. Denn bei den vergangenen Wahlen im Mai 2015 traten lediglich 26 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen – die zweitschlechteste Beteiligung in der Geschichte der ÖH. Das geringe Interesse der Studierenden, ihre Stimme abzugeben, bringt der Vertretung oft Legitimationsprobleme.

"Ich warne davor, Fragen der demokratischen Legitimation auf die Wahlbeteiligung zu reduzieren", sagt Politikwissenschafter Peter Filzmaier. Politisches Interesse würde vor allem dann steigen, "wenn es besonders schlimme Konflikte gibt". Ginge es also bei den ÖH-Wahlen etwa darum, ob Studieren verboten werden solle, so steige auch die Beteiligung, vermutet Filzmaier.

Der Umkehrschluss, dass die geringe Wahlbeteiligung eine relative Zufriedenheit der Studierenden vermuten lasse, sei aber nicht richtig. "Die Legalität der Wahl ist unbestritten, die Legitimation jedoch extrem geschwächt, weil man bei der Beteiligung noch schlechter aussteigt als andere Interessenvertretungen", sagt Filzmaier.

Die Spitzenkandidatinnen der größten ÖH-Fraktionen im Wahlkampf (v. li. ): Silvia Grohmann (AG), Marita Gasteiger (Gras), Hannah Lutz (VSStÖ) und Johanna Zechmeister (FLÖ).
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Die Debatte sei aber keine theoretische: In Verhandlungen mit der Politik oder in der medialen Diskussion könne das Gegenüber der ÖH-Spitze in Bezug auf die Wahlbeteiligung vorrechnen, dass "fast nirgendwo sonst eine so große Mehrheit der Klientel die Interessenvertreter nicht legitimiert hat". Die ÖH müsse sich der Frage stellen, ob sie noch genug Bezug zum Alltag der Studierenden habe.

"Die Studentenvertretung hat wenig Einfluss auf das, was an der Uni passiert."

Das verneint etwa Meinungsforscher Peter Hajek. Kaum jemand würde zur Wahl gehen oder könne erklären, warum er oder sie die Vertretung gewählt habe. "Die Studentenvertretung hat wenig Einfluss auf das, was an der Uni passiert", betont Hajek. Gehe es um Politisches, etwa um die Frage nach Zugangsbeschränkungen, würden die Studierenden bereits bei den Nationalratswahlen ihrer Tendenz gemäß stimmen. Die ÖH-Arbeit sei für viele nicht greifbar und entspreche nicht dem Alltag vieler Studierender.

Für ÖVP-Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle liegt die geringe Wahlbeteiligung auch daran, dass "viele Studierende die ÖH nicht in jeder Hinsicht als demokratisch empfinden", wie er im Interview mit dem STANDARD betont. Dies sei eine "Empfindung, die ich als Student hatte: dass die ÖH eine Art Spielwiese für Möchtegernpolitik ist".

ÖVP-Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle und die Wissenschaftssprecherin der Grünen, Sigi Maurer, diskutieren über die ÖH.
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Diese Ansicht, dass die ÖH aus Karrieristen bestehe, sei "zu Unrecht" verbreitet, sagt die Wissenschaftssprecherin der Grünen, Sigi Maurer. Die ÖH leiste "gute Vertretungsarbeit, verhandelt mit dem Ministerium. Es gibt tausende Studierende, die in Studienvertretungen, auf Fakultäts- und Hochschulebene ehrenamtlich arbeiten". Die ÖH sei, so Maurer, die selbst einmal ÖH-Vositzende war, eine "richtige Hacken, keine Politspielwiese".

Doppeltes Selbstverständnis

Für Filzmaier sind als ÖH-Selbstverständnis sowohl die unmittelbare Interessenvertretung als auch gesellschaftspolitische Aufgaben möglich. "Dabei gibt es eine Diskrepanz zwischen der passiven Mehrheit der Studierenden und den aktiven ÖH-Mandataren." Die Erstgenannten würden sich in größerem Ausmaß die Beschränkung auf Service- und Interessensvertretung wünschen, als dass sie die Gesellschaft verändern wollen. "Letztere müssen also den Vorwurf in Kauf nehmen, die Welt oder mindestens ganz Österreich umgestalten zu wollen, anstatt sich auf Kompromisse für konkrete Verbesserungen an der Universität oder sonst wo einzulassen."

Die Aktionsgemeinschaft (AG) habe daher einen "sinnvollen Weg" gewählt. Sie setzt auf Service. "Damit können die Studierenden etwas anfangen", sagt Hajek. "Die Bundes-ÖH hat sich in den vergangenen Jahren mit allgemeinpolitischen Belangen befasst und dabei studienrelevante Themen vernachlässigt. Sie hat ihre eigene Ideologie vertreten und nicht die Interessen der Studierenden", sagt AG-Spitzenkandidatin Silvia Grohmann.

AG-Chats mit antisemitischen Postings

"Am Juridicum könnten die Junos die Lücke nutzen."

Kurz vor der ÖH-Wahl wurden allerdings Chat-Protokolle zweier Facebook-Gruppen und einer Whatsapp-Gruppe bekannt, in der sich Funktionäre der AG Jus antisemitische und NS-verherrlichende Fotos, Memes und Bildretuschen schickten. Die Bundes-AG versuchte das "Problem zu isolieren" und auf die AG Jus zu schieben, wie der Politikberater und ehemalige Pressesprecher der ÖH, Yussi Pick, im Gespräch mit dem STANDARD analysierte. Welche Auswirkungen die Berichte auf die ÖH-Wahl hätten, sei allerdings schwer zu prognostizieren. Am Juridicum könnten laut Pick die Jungen Liberalen Studierenden (Junos) die Lücke nutzen. Aufgrund der Personenwahl auf dieser ÖH-Ebene hänge es aber davon ab, wie es den Kandidaten der AG gelingen werde, sich zu distanzieren.

Die Junos kandidierten 2015 erstmals unter dem Namen und mit auffallendem Neos-Pink. Seit 2009 konnten Studierende ihre Vorgängerorganisation, die Julis, wählen. "Mit 11,2 Prozent haben wir bei der letzten ÖH-Wahl das beste bundesweite Ergebnis einer liberalen Bewegung aller Zeiten erreicht", sagt Junos-Spitzenkandidat Yannick Shetty: "Wir hoffen dieses großartige Ergebnis wiederholen zu können."

Im Gegensatz zur AG treten vor allem die linken Fraktionen sowie der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) viel politischer auf. Sie setzen auf Themen wie Zugangsbeschränkungen, Studiengebühren oder (Anti-)Feminismus. Die Exekutive der aktuellen linken ÖH – bestehend aus den Grünen und Alternativen Studierenden (Gras), dem Verband Sozialistischer Studierender (VSStÖ), den Unabhängigen Fachschaftslisten (FLÖ) und der Fraktion engagierter Studierender (Fest; kandidiert heuer nicht mehr) – vertritt den Standpunkt, die ÖH müsse sich zu allgemeinpolitischen Themen äußern.

Für RFS-Spitzenkandidat Felix Mayrbäurl ist die Politik der ÖH eine klare Verfehlung ihrer Aufgaben: "Linksextremismus, Meinungsterror und Genderwahnsinn haben absolut gar nichts mit Studentenvertretung zu tun." Der RFS fordert daher die mittelfristige Abschaffung des "ÖH-Zwangsbeitrags" und die Umwandlung der ÖH zu einer "freiwilligen Interessenvertretung". Um diesen Umbau einzuleiten, soll der ÖH-Beitrag sofort um 75 Prozent verringert werden.

Die Spitzenkandidaten und Spitzenkandidatinnen für die ÖH-Wahl 2017 stellen sich vor.
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Dem Kommunistische Studierendenverband Linke Liste (KSV-Lili) ist die Arbeit der Bundes-ÖH allerdings "viel zu zahm", wie Spitzenkandidatin Frederike Schuh sagt: "Die Protestbereitschaft hält sich in Grenzen. Die Exekutive tritt dem Ministerium oftmals nicht geschlossen gegenüber." Der KSV-Lili ist eine von zwei kommunistischen Listen; seit der Spaltung des Kommunistischen Studierendenverbands 2007 kandidieren die Listen gegeneinander.

Parteinähe und Unabhängigkeit

Ein Trumpf vieler dieser Fraktionen sei, so Hajek, dass sie alle eine Mutterpartei im Rücken haben. "Wenn das Motiv, die ÖH zu wählen, lautet, dass man sein Wahlrecht wahrnehmen möchte, aber kein oder wenig Wissen über die Fraktionen besteht, ist das ein Vorteil", sagt Hajek. Die Fraktion würde als "Handlauf" der Mutterpartei fungieren: "Wenn jemand bei der Nationalratswahl die Grünen wählt, entscheidet er sich ohne weitere Informationen wohl für die Gras."

Aber auch auf einer anderen Ebene sei die Nähe zu einer Partei vorteilhaft, sagt Filzmaier: "Sowohl laufende Interessenvertretung als auch Wahlkampf und Kommunikation sind ganz banal auch eine Frage von Know-how, Organisationsapparat und finanziellen Ressourcen."

Besonders was die Finanzen betrifft, liegen die Unterstützungen vonseiten der Parteien aber weit auseinander: Während die Junos und der VSStÖ um die 60.000 Euro Budget angeben, das jeweils von Neos, SPÖ und Spenden oder Mitgliedsbeiträgen kommt, stehen dem RFS lediglich 10.000 Euro zur Verfügung. Das Geld kommt aber nicht nur von der FPÖ, sondern auch von Inseraten in ihrem Magazin und ebenfalls von Spenden.

"Für uns ist Transparenz enorm wichtig", sagt VSStÖ-Spitzenkandidatin Hannah Lutz. Aus diesem Grund ist das Budget aufgeschlüsselt auf der Homepage veröffentlicht. "Es setzt sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und auch finanzieller Unterstützung seitens der SPÖ zusammen", sagt Lutz.

Der KSV-Lili muss mit 2.500 Euro von der KPÖ auskommen, während der Kommunistische StudentInnenverband (KSV KJÖ) rund 8.000 Euro von der KPÖ Steiermark erhält. Die AG bezieht ihr Wahlkampfbudget von ihrem eigenen Verein. Plakatflächen stellt ihnen die ÖVP zur Verfügung: "Der größte Teil kommt von unserem Alumniverein, bei dem unsere ehemaligen Mitglieder einen Mitgliedsbeitrag von 100 Euro pro Jahr zahlen. Den Rest bekommen wir durch den Verkauf von Werbeflächen in unseren Medien", sagt Grohmann. Die Unabhängigen Fachschaftslisten Österreichs haben nur 1000 Euro in der Kasse. "Das Geld kommt aus privaten Spenden von Freundinnen und Freunden der Familie FLÖ", sagt Spitzenkandidatin Johanna Zechmeister.

Goodies für die Stimme: Der VSStÖ hat Feuerzeuge, die FLÖ selbstgemachte Buttons, die Junos verschenken Stifte, bei der Gras bekommt man Fahrradglocken und bei der AG Handyputzpickerl.
Foto: Christian Fischer

Durch das höhere Budget seien die Fraktionen "präsenter an der Hochschule" – sie könnten mehr Plakate und Wahlkampfgeschenke produzieren. Ob es sich um selbstgemachte Buttons (FLÖ), Fahrradsattelschoner (Gras) oder um Feuerzeuge (AG und VSStÖ) handle, sei aber "völlig egal", sagt Hajek: "Kein Mensch gibt dafür seine Stimme her. Sie sind aber ein einfaches Mittel, um in Kontakt zu treten." Zudem dienten die Geschenke als "Reminder" an Gespräche mit der Fraktion.

Ausgleich durch Mitglieder

Fraktionen mit wenig Budget könnten ihren Nachteil aber durch Aktivisten ausgleichen. Zwar würde die Zahl der Mitglieder allein wenig aussagen – seien diese aber aktiv, bringe das einen großen Vorteil. "Mitgliedschaften bei Vereinen sind nicht mehr angesagt, sie sind nicht umsonst, gehen mit einem Beitrag einher, und man hat nicht viel davon", sagt Hajek. Daher könne man bei der ÖH annehmen, dass die Aktivisten auch engagiert sind.

Die meisten Aktiven gibt die AG an. Zwar würden sie kein Gesamtverzeichnis führen, da die AG in Hochschulgruppen organisiert ist, deren Vorstände die Bundesorganisation wählen, "geschätzt haben wir aber 1.500 Mitglieder österreichweit", sagt Grohmann. Der VSStÖ liegt bei den Mitgliederzahlen auf Platz zwei, allerdings mit einem großen Abstand: 400 Aktivisten zählen die Sozialisten.

Am kleinsten scheint hingegen der KSV-Lili zu sein. Etwa 50 Personen engagieren sich bei der Liste der kommunistischen Studierenden. Wie viele Mitglieder die zweite kommunistische Liste, der KSV, hat, möchte dieser nicht bekanntgeben. Auf Anfrage des STANDARD heißt es lediglich: "Der KSV hat an allen Universitäten, an denen er kandidiert, Aktivisten. Genauere Angaben dazu machen wir aber nicht, da wir solche Zahlen als Interna erachten." Auch die Gras zählt ihre Aktivisten nicht. Bei den grünen Studierenden gibt es keine Mitgliedschaft. "Wir haben das Prinzip, lustvoll Politik zu machen. Jede Person soll sich so viel einbringen, wie sie kann und möchte", sagt Gras-Spitzenkandidatin Marita Gasteiger.

Die kleinen Fraktionen, die bei der ÖH Wahl kandidieren, im Wahlkampf (v. li.): Yannick Shetty (Junos), Michael Fischer (KSV-Lili), Lukas Haslwanter (KSV), Felix Mayrbäurl (RFS), Philipp Roithinger (No Ma'am).
Fotos: Christian Fischer, Markus Rohrhofer

"Als reines Zahlenspiel hat das im Wahlkampf gar keine Relevanz – weil der Mitgliederbegriff nichts über die Aktivität im Wahlkampf und überhaupt aussagt", sagt Filzmaier. Auch der Aktivistenbegriff an sich sage nichts darüber aus, wie viele Personen sich tatsächlich zielgerichtet und im Rahmen einer strategischen Gesamtstrategie an der Kampagne beteiligen. Und: "Was die Mitglieder betrifft: Hätte das etwas mit der Fraktionsstärke in Wahlen zu tun, so müsste die ÖVP auf Bundesebene eine Zweidrittelmehrheit haben."

Geringes Interesse

Aber nicht nur vor der Uni findet der Wahlkampf statt. Auf ihren Social-Media-Accounts posten die wahlwerbenden Listen jeden Tag neue Updates, Veranstaltungen, Medienberichte und ihre Pläne für eine mögliche ÖH-Beteiligung. Junos, VSStÖ und Gras haben mehrere Videos, um ihre Spitzenkandidaten vorzustellen.

Die Junos, der VSStÖ und die Gras promoten ihre Spitzenkandidaten per Videos auf Facebook und Youtube.
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Dass Fraktionen durch starke Online-Präsenz fehlende aktive Wahlkampfhelfer ausgleichen können, denkt Filzmaier nicht. "Das Problem ist nicht die Reichweite von Social Media, sondern das geringe Interesse an politischen Themen ebenda." Der entscheidende Unterschied zum Wahlkampf an der Uni sei zudem, dass man Wahlplakate, egal ob man interessiert ist oder nicht, trotzdem sieht. "Von Social-Media-Inhalten, die ich nicht wahrnehmen will, bekomme ich als Studierender auch wirklich nichts mit."

"Um die Überzeugung von bisherigen Nichtsympathisanten geht es viel weniger als um Mobilisierung."

Ein großer Teil des Medienwahlkampfs würde in einer "künstlichen Social-Media-Blase der kandidierenden Gruppen und Personen" stattfinden. Dabei gewinne, wer am besten zielgerichtet mobilisiere. "Um die Überzeugung von bisherigen Nichtsympathisanten geht es viel weniger", sagt der Politologe.

Spaßfraktion für Bier

Neben den acht bereits im Studierendenparlament vertretenen Listen kandidiert heuer auch eine Spaßfraktion: No Ma'am, deren einziger Wahlkampfinhalt "Bier" ist. Die reine Männerliste besteht an der Uni Linz bereits seit 20 Jahren, kann sogar auf eine Exekutivbeteiligung an der lokalen ÖH zurückblicken. "Wir sind in dieser Zeit ein Teil der JKU geworden. Ein politisch sowie auch kulturell wichtiger Teil", sagt Spitzenkandidat Philipp-Roithinger: "Der Popolismus wird uns auch ganz sicher dabei helfen, Bundeskanzler zu werden. Und dann werden sich die Leute noch wundern, was alles geht."

Eines hätten die Mitglieder vieler ÖH-Fraktionen jedenfalls von ihrem Engagement: "Sie befinden sich in klassischen Vorfeldorganisationen der Parteien." Neos-Chef Matthias Strolz und die Grüne Sigi Maurer sind nur zwei von vielen Ex-ÖHlern im Parlament. (Oona Kroisleitner, 16.5.2017)