Der Chemieriese Dupont führte während der Mailänder Möbelmesse vor: der bislang vor allem in Weiß verwendete Mineralwerkstoff Corian ist nun in einer deutlich weiter gefächerten Farbpalette. Vorgeführt wurde das in der Ausstellung "Cabana Club".

Foto: Corian Cabana Club

Die Entwürfe von Marcel Wanders (für Moooi) lassen an die Stillleben alter flämischer Meister denken.

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Philippe Starck legte Hand an einen rustikalen Sessel (Driade).

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Der Tisch von Hermès ist aus Bronze.

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Beistelltische "Antivol" mit Lavasteinen (CTRLZAK-Design).

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Ein Tisch von Patricia Urquiola für Glas Italia.

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Je kürzer die Röcke, desto stärker brummt die Wirtschaft. Schon in den 1920er-Jahren entwickelte der Ökonom George Taylor seine "Rock-Theorie" als Indikator für das aktuelle Konsumklima und damit auch für die Entwicklung der Börsenkurse. Im Möbeldesign geht es freilich nicht um Saumlängen oder um das Volumen an sichtbarer Haut. Es geht vielmehr um das Schwelgen in leichter Unvernunft, den Müßiggang des Wohnens, wenn man so will.

Was in der Mode die konservative, überknielange Rocklänge ist, sind bei der Inneneinrichtung modernistisch angehauchte Retromöbel. Sie gaukeln eine Zeit ohne Zeit vor, indem sie sich die DNA der berühmten Klassiker aus der Mitte des vorherigen Jahrhunderts einverleiben und Alt und Neu bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermischen. Die Ursache dafür ist klar. Wenn das Konsumklima wackelt, wollen wir keine Experimente eingehen. Stattdessen umgeben wir uns mit verlässlichen Dingen, die auch in zehn Jahren noch von Bestand sind. Schließlich werden Möbel mit einer deutlichen längeren Lebenserwartung erworben als Kleidungsstücke.

Doch genau an dieser Stelle tut sich etwas. Nachdem die Möbelbranche fast eine Dekade lang an den Folgen der 2008er-Krise zu knabbern hatte, scheinen die Designer und Hersteller plötzlich von der selbstauferlegten Zurückhaltung genug zu haben. Wir sehen derzeit auffallend viele Muster und dekorative Oberflächen, gemischt mit poppigen Farben und luxuriösen Materialien, die eine Spur Exzentrik mit dem Bedürfnis nach Repräsentation in Einklang bringen. Möbel sollen nicht mehr nur mit rationalen Argumenten wie Langlebigkeit und Funktionalität überzeugen, sondern ebenso mit Sinnlichkeit und Opulenz: Mehr ist nun wieder mehr!

Schwere Tafel

Anstelle von kühlem Edelstahl sorgen Bronze, Kupfer und Messing für einen warmen, schimmernden Auftritt. Ein wahres Schwergewicht hat das britische Designerduo Barber & Osgerby mit dem Tisch "Aes" für Hermès Maison aufgefahren, der in einem Stück aus Bronze gegossen wird. Die Außenkanten sind derart stark von Hand poliert, dass sie den Eindruck von feinem Leder erwecken. Auch das sonst sehr zurückhaltende Möbellabel e15 zeigt den von Philipp Mainzer entworfenen Tisch "Trunk II" mit einer 4,1 Meter langen Platte aus Nussbaum.

Einen "Ausflug in die Welt des Maximalismus" verspricht der Chemieriese Dupont. Der bislang vor allem in Weiß verwendete Mineralwerkstoff Corian ist nun in einer deutlich weiter gefächerten Farbpalette erhältlich, deren Anwendungen in der Ausstellung "Cabana Club" anlässlich der Mailänder Möbelmesse vor Augen geführt werden.

Der Cabana Club während der Mailänder Möbelmesse
Corian Design

Während die italienische Textildesignerin Idarica Gazzoni einen chinesischen Meditationsraum in Szene setzt, entführt Antonio Marras in ein mexikanisches Schlafzimmer, wo sich Blumen, Kruzifixe und Knochen zu einer wilden Collage vermischen. "Frida Kahlo sagte einmal: 'Ich male Blumen, damit sie nicht sterben.' Deshalb Blumen, Blumen über Blumen", begründet der Mailänder Modemacher seinen Hang zum Überschwang.

Florale Qualitäten spielen ebenso beim niederländischen Hersteller Moooi eine wichtige Rolle. Der Fuß des von Marcel Wanders entworfenen "Jackson Footstool" wartet mit einem bedruckten Blumenmuster auf, das an die Stillleben alter flämischer Meister denken lässt. Eine Mischung aus Memphis und Art déco zeigt hingegen der Mailänder Architekt Ferruccio Laviani in Kooperation mit dem Möbelhersteller Emmemobili. Der feuerrote Schrank "Trapezio" wird durch Messing-Intarsien akzentuiert, die einer stilisierten Holzmaserung nachempfunden sind, während die Füße des Tisches "Fatty" an poppig eingefärbte Baumringe erinnern.

Lava-Möbel

Einen Ausflug in die Steinzeit unternimmt Philippe Starck mit seinem Stuhl "Torquemada" für Driade. Sitzfläche und Rückenlehne sind aus Eichenholz gefertigt und mit einem Hohlmeißel derart bearbeitet worden, dass die unregelmäßige Oberfläche an die Klingen von Keilwerkzeugen erinnert. Die Lust am Dekor wird hier mit handwerklicher Raffinesse verbunden, die sich ganz bewusst von kalten, planen und austauschbaren Strukturen abhebt. Auf den Spuren der Feuersteins wandelt zugleich der Hersteller JCP mit dem Beistelltisch "Antivol" von CTRLZAK- Design. Auf puristischen Messinggestellen ruhen sizilianische Lavasteine, die lediglich an der Oberfläche glattgeschliffen wurden und stattdessen an der Unterseite eine raue, unbearbeitete Struktur zeigen. Opulenz steckt an dieser Stelle nicht in üppigen Verzierungen, sondern vielmehr im verblüffenden Transfer einer primitiven, taktilen Naturform ins Innere unserer Gemächer.

Rückzugskojen

Während Polstermöbel auf der einen Seite immer kompakter werden – und damit dem immer knapperen Wohnraum in den Städten Rechnung tragen –, geht es zeitgleich in die umgekehrte Richtung: Weite, ausladende Polsterecken kreieren wohnliche Rückzugskojen – in denen Brexit-Verhandlungen und Trump-Eskapaden wie Nachrichten aus einem fernen Universum wirken. Geradezu raumgreifende Kompositionen lassen sich mit dem Sitzprogramm "Lawrence" erzeugen, das Rodolfo Dordoni für Minotti gestaltet hat. Molteni&C setzt mit dem Programm "Sloane" auf geweitete Proportionen.

Die Botschaft: Das Wohnen verführt die Sinne mit einer belebenden Mixtur aus Mustern, Farben, luxuriösen Materialien und gesteigerten Dimensionen. Der Hang zur Opulenz wirkt wie ein Korrektiv zum vermeintlich vernünftigeren Retrodesign. Gewiss stellt sich die Frage, ob wir all diese Entwürfe auch in zehn oder zwanzig Jahren noch um uns haben wollen. Doch es ist gut, dass die derzeit etwas träge gewordene Branche eine neue Dynamik erfährt. Die Röcke sind im Möbeldesign eindeutig kürzer geworden! (Norman Kietzmann, RONDO, 27.5.2017)