Tim Mohr
Stirb nicht im Warteraum der Zukunft

Die ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer
Heyne Hardcore 2017
560 Seiten, 20,60 Euro

Foto: Heyne Verlag

Punks im Berliner Plänterwald, um 1981.

Foto: Ostkreuz Agentur / Harold Hauswald

Die Band Rosa Extra in Prenzlauer Berg, 1982.

Foto: Ostkreuz Agentur / Harold Hauswald

Das Buch beginnt mitten im Nachtleben Berlins, der Lebensader der pulsierenden deutschen Hauptstadt. Die legendären Technoclubs wie das Tacheles, der Tresor und das WMF wurden alle von DDR-Punks mitbegründet. Der Ost-Punk-Geist ist noch heute spürbar, im About Blanks ebenso wie im Berghain oder dem Salon zur Wilden Renate.

Tim Mohrs Buch strandet im Jahr 1992 im Ostteil Berlins, in einer Wohnanlage für Studenten, in der grauesten Stadt, die er je gesehen hat, wie er schreibt. Aus der Ferne heulten die Zootiere des Stadtparks, hinzu kam die ständige Angst, die Gerüchte über Horden durch die Straßen ziehender Skinheads könnten am Ende doch stimmen. Bald aber eröffnete sich dem Autor die bunte, kreative Szene, für die Berlin bis heute steht, der Außenseiter aus den USA lernte die Kneipen und Clubs der Hauptstadt kennen und mit ihnen auch die Ost-Punks der Stadt. Er zog mit ihnen durch die Nacht, legte selbst als DJ auf, aus dem geplanten sechsmonatigen Aufenthalt wurde ein Jahr, dann drei.

Heute lebt Tim Mohr als Autor, Journalist und Übersetzer in New York, als solcher war er bis zu dessen Tod für Hunter S. Thompson, Wolfgang Herrndorf und Charlotte Roche zuständig. Seine journalistischen Arbeiten erschienen unter anderem im "Playboy", der "New York Times", dem "New York Magazine" und in der "Huffington Post", als Ghostwriter hat Mohr die Memoiren von Gil Scott-Heron, Guns-N'-Roses- und Velvet-Revolver-Bassist Duff McKagan und Kiss-Frontman Paul Stanley verfasst.

Keine Zukunft, zu viel Zukunft

Nun hat er mit "Stirb nicht im Warteraum der Zukunft. Die ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer" deren Geschichte aufgeschrieben: jene unter dem Honecker-Regime im Osten und jene nach dem Fall der Mauer. Er beschreibt, wie eine Handvoll Teenager in den Siebzigern über die britischen Militärsender aus dem Westen die Sex Pistols kennenlernte, wie sie in geschmuggelten Musikmagazinen die Bilder der Punks auf der anderen Seite der Mauer fanden und sich Sicherheitsnadeln in die Ohrlöcher steckten. Womit sie im Osten noch viel deutlicher auffielen als im Westen – was repressive Maßnahmen nach sich zog.

Mohr erzählt anhand von Dokumenten, Zeitzeugenberichten und Interviews nach, wie sich der anfänglich unpolitische Nihilismus der Punks im Osten zu einer Hardcore-Ideologie in einem speziellen Umfeld entwickelte: Im Gegensatz zu den Punks im Westen, die beklagten, als Underdogs im kapitalistischen System keine Zukunft zu haben, besangen jene im Osten, dass über ihren Lebensweg bereits entschieden wurde.

Mohr beschreibt, wie sie sich innerhalb der Grenzen der DDR, aber außerhalb der Gesellschaft bewegten, wie sie ihren Platz in der Untergrundbewegung fanden, die das Fundament für die Revolution schuf, und wie sie dem neuen Berlin nach 1989 ihren Stempel aufdrückten und eine Szene prägten, die bis heute Menschen aus aller Welt anzieht.

Der Autor stellt das Buch am Freitag ab 20 Uhr im Wiener Rhiz, U-Bahn-Bogen 37 vor, der Eintritt ist frei. (giu, 11.5.2017)