"Es gibt drei rechtsextreme Gruppen in der Ukraine", erzählt Ruslana Panuchnyk, Organisatorin der ukrainischen Version der Regenbogenparade, der Kyiv Pride: "Früher war es die Partei Swoboda. Rund um den Euromaidan entstand die noch extreme Partei Prawy Sektor, und neuerdings macht eine selbstorganisierte Privatarmee im Osten des Landes von sich reden, die sich Regiment Asow nennt. Ich habe Sorgen, dass sich diese drei Gruppen vereinigen könnten. Dann wird es sehr ungemütlich."

Attacken auf Kyiv Pride

Mit Rechtsextremen haben Panuchnyk und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen genug Erfahrung. Eine Kyiv Pride kann nicht ohne massiven Polizeischutz durch die Stadt marschieren. "Wir begannen mit dem Organisieren des ersten Marsches 2012. Als wir hingingen, mussten wir aber gleich wieder absagen. Wir waren etwa 50 Teilnehmer und fanden dort 2.000 Faschisten vor, die schon auf uns warteten."

Das Denkmal der Völkerfreundschaft wurde eingefärbt. Das gefällt nicht allen in der Ukraine. Unzucht wird geortet.
Foto: Marco Schreuder

2013, also noch vor den Aufständen am Maidan, konnte die erste Parade abgehalten werden. In der Innenstadt durften sie auf Geheiß der damaligen prorussischen Regierung aber nicht demonstrieren. Sie wurden in ein menschenleeres Industriegelände geschickt. "Wir waren 80 Teilnehmer, und 2.000 Polizisten waren unser Schutzschild gegen Rechtsextreme", erzählt Panuchnyk erstaunlich gelassen und ruhig. "Diejenigen, die mitmarschieren wollten, mussten sich auf unserer Webseite registrieren und bekamen zwei Stunden vor Beginn der Demo den Ort gesimst." 2014 fand aufgrund des Kriegsausbruchs keine Parade statt.

2015 wurde wieder eine Kyiv Pride veranstaltet. Die politischen Veränderungen führten auch zu neuem Personal bei der Polizei, mit der eine Kooperation leichter wurde. Als Ort wurde diesmal eine Strandpromenade am Fluss Dnepr vorgeschrieben. Da gibt es Strand und ein paar Privathäuser. Also ging die Polizei von einer friedlichen Demonstration aus. Womit sie aber nicht rechneten, waren die Besitzer der Häuser: "Sie ließen Rechtsextreme durch ihr Grundstück, und so wurden wir brutal gejagt und angegriffen. Auch ein Polizist wurde lebensgefährlich verletzt. Glücklicherweise überlebte er."

2016 verlief die Parade dann einigermaßen friedlich, wenn auch weiterhin innerhalb eines strikt von Polizisten bewachten Kordons. "Die Polizei und die Stadtverwaltung von Kiew waren aber beide sehr unterstützend", betont Panuchnyk. Immerhin waren es bereits 2.000 Teilnehmer, und auch Abgeordnete des Europarlaments und einige ukrainische Politiker machten mit. 2017 soll die Pride am 18. Juni stattfinden. Wo, weiß Panuchnyk jetzt, einen Monat davor, aber auch noch nicht.

Situation von LGBTIQs in der Ukraine

Von einer Gleichstellung von Partnerschaften, wie sie in vielen Ländern Europas erreicht wurde, ist die Ukraine noch sehr weit entfernt. "Wir kämpfen immer noch um Sichtbarkeit. Eine Studie hat gezeigt, dass fünf Prozent der Ukrainer angeben, einen Homosexuellen oder eine Transgender-Person zu kennen. Wir haben keine Rolemodels und keine Prominenten, die sich bekennen. Keine Partei traut sich, das Thema zu berühren, weil sie Angst haben, damit Stimmen zu verlieren. Nur eine Handvoll Abgeordnete unterstützt uns." Genau 15 sind es. Von 450.

Eine der Organisatorinnen der Kyiv Pride, Ruslana Panuchnyk: "Wir kämpfen noch um Sichtbarkeit!"

Dass der Eurovision Song Contest aufgrund seiner kulturellen Offenheit besonders viele LGBTIQs anzieht, weiß Panuchnyk natürlich, sie meint aber, dass das nur der Community bewusst sei: "Die meisten wissen über den queeren Aspekt des ESC nichts. Das wird auch nirgendwo erzählt. Als Conchita 2014 gewann, gab es zuhauf negative Kommentare, aber auch Unterstützung. Immerhin wurde sie danach auch ins ukrainische Fernsehen eingeladen."

Aber wenn die Ukraine nach dem Euromaidan so gerne proeuropäisch und antirussisch werden möchte, warum spiegelt sich das in der Haltung gegenüber sexuellen Minderheiten nicht wider? "Das ist das Paradoxon der Ukraine. Sie wollen Europa, aber offenbar doch nicht alles davon", sagt Panuchnyk.

Der Regenbogen der Vielfalt

Ein Regenbogen steht seit 1982 in Kiew. Eigentlich handelt es sich um ein Sowjetdenkmal der Völkerfreundschaft. Vor dem Eurovision Song Contest ließ der Unternehmer Gennadi Kurotschka den Bogen in Regenbogenfarben umfärben, ganz dem diesjährigen Song-Contest-Motto "Celebrate Diversity" gemäß.

Kaum war der Bogen mit den bunten Folien beklebt, wurde sogleich Widerstand laut. Der religiöse Aktivist Ruslan Kuchartschuk und der Sprecher von Prawy Sektor, Arten Skoropadsky, starteten einen medialen Feldzug gegen diese "versteckte Propaganda" für "Unzucht".

Die Initiatoren des Projekts und die Stadt Kiew betonten, dass es sich beim Regenbogen um ein Symbol der Vielfalt handle und nicht eine spezifische Gruppe damit gemeint sei. Das ist generell bei diesem Eurovision Song Contest Tenor: Es wird immer wieder betont, dass "Celebrate Diversity" meint, dass alle Nationalitäten und alle Religionen willkommen seien. LGBTIQs werden dabei genauso wenig genannt wie andere diskriminierte Gruppen.

Es ist vielleicht eine Frage der Zeit, bis in der Ukraine wirklich alle Minderheiten gemeint sind, wenn von Diversity die Rede ist. Eine tapfere Aktivistin wie Ruslana Panuchnyk wird mit ihren Kyiv-Pride-Mitstreitern dazu beitragen. Trotz der enormen Widerstände. (Marco Schreuder, 12.5.2017)