Buntes Spielzeug liegt auf dem Boden, an den Wänden hängen Kinderzeichnungen, auf einem Teppich sitzt eine Pädagogin, sie ist umringt von einer kleinen Gruppe von Kindern, die mit Bausteinen spielen. Obwohl es hier aussieht wie in einer normalen Kindergruppe, ist etwas anders. Denn hier spielen Kinder, die auf Rehabilitation sind. Allerdings sind nicht sie selbst krank, sondern ihre Mütter.

Als sich die Tür öffnet, kommt eine Frau im Bademantel herein. Zwei Kinder springen auf, laufen auf die Frau zu und klammern sich an sie, dabei rufen sie laut und fröhlich: "Mama, Mama!" Die Frau streichelt ihnen über die Köpfe, drückt sie an sich und sagt der Pädagogin, wann sie ihre Kinder heute abholen wird. Jetzt hat sie nur kurz Zeit und muss gleich wieder los zur nächsten Therapie.

Rehabilitation bedeutet auch, das Erlebte zu verarbeiten, gemeinsam mit den Kindern Zeit zu verbringen und langsam vom Ausnahmezustand voller psychischer und körperlicher Belastungen in einen normalen Alltag zurückzufinden. In Familien gelingt das am besten gemeinsam.
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Im Rehabilitationszentrum Bad Erlach, eine Stunde südlich von Wien, können von Krebs betroffene Mütter und Väter ihre Kinder ab dem Kleinkindalter zur onkologischen Rehabilitation mitnehmen. Während der Therapiezeiten von acht bis fünf Uhr werden die Sprösslinge in einer Kindergruppe von Fachpersonal des Hilfswerks betreut. Elternteil und Kind wohnen im Rehazentrum in einem Einzel- oder Doppelzimmer mit Zustell- oder Gitterbett. Die Unterbringung und Verpflegung für Kinder bis sechs Jahre ist kostenlos, die Betreuung kostet 300 Euro für den gesamten Aufenthalt.

Nicht mehr verzichten

Das Angebot habe vor allem den großen Vorteil, dass Eltern nicht mehr auf eine Rehabilitation verzichten müssen, weil sie ihre Kinder nicht zu Hause lassen wollen oder können. "Viele Eltern haben kein soziales Umfeld, das es möglich macht, allein auf Reha zu fahren. Andere könnten die Kinder zu Hause lassen, wollen sie aber gern mitnehmen, weil ihnen die Bindung zum Kind sehr wichtig ist", sagt Marlene Troch, Psychoonkologin und stellvertretende Leiterin der onkologischen Rehabilitation in Bad Erlach.

Eine der Mütter, die vor einigen Monaten am Programm teilgenommen haben, ist Marie (Name geändert). Die 36-Jährige war an Dickdarmkrebs erkrankt und hat ihre dreijährige Tochter zur Rehabilitation mitgebracht. "Während meiner Chemo war ich viel im Krankenhaus und oft von meiner Tochter getrennt. Darunter haben wir beide sehr gelitten. Hätte es dieses Angebot hier nicht gegeben, hätte ich sicher keine Rehabilitation gemacht, ich wollte nicht noch einmal drei Wochen von meiner Tochter wegfahren", erzählt Marie. "Für uns beide ist jetzt wichtig, dass wir wieder mehr Zeit miteinander verbringen, alles verarbeiten und langsam zum Alltag zurückfinden."

Belastung und Schuldgefühle

Troch kennt die Herausforderungen, mit denen Eltern konfrontiert sind, wenn sie die Diagnose Krebs bekommen: "Kinder müssen betreut und versorgt werden, Eltern haben ihnen gegenüber eine Verantwortung. Eine Krebserkrankung ist dann eine sehr große Belastung und kann zu Schuldgefühlen führen, etwa weil man als Vater oder Mutter weniger Zeit und körperliche Kraft hat oder die psychische Belastbarkeit reduziert ist."

Vor allem die Organisation sei eine Herausforderung, sagt Marie. "Wer bringt das Kind ins Bett, wer gibt ihm zu essen, wer holt es aus dem Kindergarten – für all das braucht es ein gutes Netzwerk", weiß sie. Sie musste während ihrer Erkrankung lernen, Hilfe anzunehmen, "denn allein schafft man das niemals, das wäre falscher Ehrgeiz." Hinzu kommt der Schock nach der Diagnose und die psychische Belastung. "An schlechten Tagen habe ich mich gefragt, ob ich meine Tochter aufwachsen sehen werde und wie viel Zeit wir noch gemeinsam haben. Auch heute kommen diese Gedanken noch hin und wieder, sie sind meine emotionale Achillesferse", erzählt sie. Andererseits helfe ein Kind auch: "Meine Tochter hat mich oft aus dem Selbstmitleid gerissen. Wenn man ein Kind hat, kann man sich schwer daheim vergraben. Sie hat mich dazu motiviert, rauszugehen."

Zurück ins Leben finden

Bei diesen Punkten setzt auch die onkologische Rehabilitation an. Ziel ist es, die Betroffenen dabei zu unterstützen, zurück ins Leben zu finden. "Wir helfen nicht nur dabei, körperlich und geistig wieder fit zu werden, sondern entwickeln auch gemeinsam Strategien für die ganze Familie und die Zeit daheim. Die Mütter lernen, wie sie sich selbst entlasten und ihre psychische und finanzielle Situation meistern können" , sagt Troch. Von Müttern spricht die Ärztin deshalb, weil bislang nur Frauen das Angebot in Bad Erlach in Anspruch genommen haben, für Väter gilt es aber ebenso.

Neben der allgemeinen Vorbereitung auf den Alltag nach der Reha, werden den Eltern Tipps aus allen Teilbereichen mitgegeben – auch ganz praktische, etwa zum Wiedereinstieg in den Beruf, welche Bewegung hilft oder "wie man für sich selbst und die Kinder gesünder kochen kann", so Troch. Dass es aufwärts geht, hat auch Marie schon beobachtet: "Ich bin in den letzten Monaten viel herumgelegen, jetzt komme ich langsam wieder zu Kräften." Sie sieht das Angebot auch als eine Investition, die sich für die Gesellschaft auszahlt: "Wenn junge Eltern nicht auf Reha fahren können, sind sie länger arbeitsunfähig."

Darüber reden hilft

Neben den offensichtlichen Vorteilen ergeben sich durch die Möglichkeit, das Kind zur Reha mitzubringen, auch positive Nebeneffekte. Etwa jener, dass durch dieses spezielle Angebot Eltern während der Reha aufeinandertreffen, die sich in einer sehr ähnlichen Situation befinden. "Dieser Austausch ist sehr wichtig, und die Frauen können voneinander lernen. Statistisch gesehen sind junge Menschen seltener von Krebs betroffen, sie kennen also in ihrem Umfeld meist niemanden, dem es ähnlich geht", sagt Troch.

Das entspricht auch Maries Erfahrungen: "Die meisten Krebspatienten, die ich im Krankenhaus kennengelernt habe, waren um die 70. Aber wenn man jung ist, spielen ganz andere Themen eine Rolle." Sie habe sich etwa gefragt, wann sie wieder arbeiten dürfe oder ob sie noch ein Kind bekommen könne. Bei der Reha hat sie mittlerweile Mütter kennengelernt, mit denen sie sich austauschen kann. "Abends sitzen wir zusammen mit unseren Babyfonen und vergleichen unsere Narben", erzählt sie und lacht ironisch. Sie freut sich, dass auch andere Mütter hier sind. "Die ganze Krankheit relativiert sich irgendwie, wenn man mit Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, darüber sprechen kann."

Kinder einbeziehen

Psychoonkologin Troch glaubt, dass durch das Angebot nicht nur für die Mütter, sondern auch für die Kinder ein Benefit entsteht: "Sie merken hier, dass es auch noch andere Mütter mit einer Krebserkrankung gibt und es anderen Kindern wie ihnen geht." Obwohl das Programm in Bad Erlach ausschließlich auf die Eltern zugeschnitten ist, spielt das Leben mit Kindern in der Therapie trotzdem eine Rolle: "Die Mütter können dazu natürlich Fragen stellen, häufig ist der Umgang mit der Krankheit vor den Kindern ein Thema. Wir empfehlen dann, in der Familie offen zu sprechen und die Kinder nicht auszuschließen, das fällt allerdings vielen Eltern schwer, weil sie ihre Kinder schützen wollen."

Das kennt auch Marie, ihr sei aber schnell klar geworden, dass sie die Krankheit vor ihrer Tochter nicht verbergen kann. "Prinzipiell weiß meine Tochter, dass ich sehr krank war. Das haben wir ihr in kindgerechter Sprache gesagt." Über die Reha habe sie ihrer Tochter erzählt, dass sie im Urlaub seien, die Mama aber hin und wieder zum Arzt müsse. Vor allem die älteren Kinder haben das natürlich durchschaut, erzählt Marie. Ein Mädchen in der Gruppe habe den anderen schon erklärt, dass hier nur die Kinder im Urlaub sind, nicht aber die Mütter. (Bernadette Redl, 13.5.2017)