Admont/Hamburg – Von einem "Sensationsfund" im steirischen Benediktinerstift Admont berichtet "Spiegel Online". Laut dem Bericht des deutschen Nachrichtenmagazins entdeckte Martin Haltrich, Handschriftenexperte aus dem niederösterreichischen Stift Klosterneuburg, die womöglich ältesten Schriftstücke in deutscher Sprache.

Die Pergamentstücke aus dem Stift Admont.
Foto: APA/STIFT ADMONT/ENRIQUE PARDO

Der Zufallsfund gelang bereits 2012, als Haltrich in Admont eigentlich hebräische Schriften digitalisieren wollte,. Er fragte nebenbei aber auch, ob er die sogenannte Fragmentesammlung durchsehen dürfe – also die Sammlung von Pergamentresten aus dem frühen Mittelalter. Diese Texte wurden ursprünglich auf Ziegen- oder anderer Tierhaut angefertigt, weshalb ihnen bis heute ein gewisser Stallgeruch anhaftet.

1200 Jahre alte Fragmente

Der Handschriftenexperte erhielt eine unbeschriftete Mappe, in der sich unter anderem zwei handtellergroße Fragmente befanden, die beidseitig mit Text versehen waren, auf beiden Seiten lateinisch und deutsch. Haltrich war schnell klar, dass er da etwas ganz Altes entdeckt hatte. Um herauszufinden, um was es sich dabei handelte, schickte er Fotos der Pergamente an verschiedene Experten, die seine Vermutung bestätigten.

Die zeitliche Festlegung gelang unter anderem über sogenannte karolingische Minuskeln, der in den Fragmenten verwendeten Schrift. Es stellte sich heraus, dass Haltrich zwei "Blätter" aus einem Buch entdeckt hatte, das etwa im Jahr 800 angefertigt wurde: aus dem sogenannten "Abrogans". Dieses Buch ist eine Art Lateinisch-Deutsch-Synonymwörterbuch und heißt deshalb so, weil "abrogans" das alphabetisch erste Wort des Buchs ist und im Übrigen so viel wie dheomodi bzw. "demütig" bedeutet. (Eigentlich ist es das Partizip des Verbs abrogare, das so viel "abschaffen" bedeutet).

Die erste Seite des "Abrogans" aus St. Gallen. Die Überschrift lautet: INCIPIUNT CLOSAS EX VETERE TESTAMENTO ("Hier beginnen die Glossen aus dem Alten Testament").
Foto: St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 911: Abrogans - Vocabularius (Keronis) et Alia (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/csg/0911).

Die vierte Abschrift

Bisher ging man davon aus, dass es von diesem Werk nur drei Abschriften gibt: einen vollständig erhaltenen Band in der Stiftsbibliothek St. Gallen in der Schweiz, Fragmente in der Nationalbibliothek Paris und in der Landesbibliothek Karlsruhe. Nun gibt es also noch Teile einer vierten Version, die sich laut "Spiegel Online" deutlich von den drei bekannten Abschriften unterscheidet.

Die bisherigen Versionen erklären selten verwendete lateinische Begriffe mit einfacheren lateinischen Wörtern, ehe sie in einer dritten Spalte ins Althochdeutsche übersetzt werden. Die in Admont entdeckten Ausschnitte dürften eine Überarbeitung des rund um das Jahr 800 entstandenen Glossars darstellen, da es auch geläufigere lateinische Begriffe direkt ins Althochdeutsche übersetzt.

"Spiegel Online" zitiert in dem Zusammenhang den Wiener Germanisten Stephan Müller, der den Fund für eine "aufwendige Umarbeitung des Ur-Abrogans" hält. Im Jahr 800 wurde im Übrigen auch Karl der Große (768–814) gekrönt, weshalb vermutet wird, dass er der Auftraggeber der Abschrift des "Abrogans" gewesen sein könnte.

Wiederverwendetes altes Pergament

Wie und wann aber kamen die Pergamentteile ins Stift Admont, das erst 1074 gegründet wurde? Recherchen ergaben, dass die zwei Fragmente seit 1963 in jener Mappe steckten, die Haltrich 49 Jahre später in Augenschein nahm. 1963 wurde ein Buch der Klosterbibliothek mit dem Titel "Der geheime Schreiber" aus dem 18. Jahrhundert restauriert. Die damalige Restauratorin löste die Pergamente vom Umschlag des anscheinend bereits im 18. Jahrhundert erstmals restaurierten Werks und lieferte sie in der Mappe zurück nach Admont.

Die alten Pergamente waren also im 18. Jahrhundert auf dem Buchdeckel des "geheimen Schreibers" gelandet. Damit ist die buchstäbliche Schnitzeljagd natürlich noch lange nicht beendet. Denn wie und wo wurde das Pergament quasi als Recyclingmaterial auf den Buchdeckel geleimt? Allem Anschein nach dürfte im 18. Jahrhundert ein Buchbinder aus Steyr das Buch für die Stiftsbibliothek Admont neu eingebunden haben. Und dafür verwendete er vermutlich ausrangiertes Pergament, das er in den Stiftsbibliotheken in der Nähe aufgekauft hatte.

Mögliche Verbindung zu Kremsmünster

Stimmt die Vermutung, dann kommen Klöster wie Salzburg, Kremsmünster und Mondsee infrage, am wahrscheinlichsten ist das einstige Benediktinerstift Mondsee, das rund um das Jahr 800 als Wissenszentrum galt. Womöglich war eine Version des "Abrogans" dort vorhanden und ist dann ausgesondert worden, ehe der Buchbinder in Steyr Teile davon erwarb und verleimte.

Weitere Ergebnisse zum Sensationsfund wurden am Freitagabend neben dem Bericht in "Spiegel Online" zeitgleich auch in Admont bei einer Fachtagung präsentiert. Eine ausführliche Publikation ist für 2018 geplant. (tasch, 12.5.2017)