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In welchen Zeiten leben wir? Es ist atemberaubend, mit welch handstreichartiger Geschwindigkeit Sebastian Kurz seine Bedingungen durchgesetzt, die ÖVP übernommen und alle anderen Parteien vor sich hergetrieben hat. Er war ein Parteiputsch, den nur wenige für möglich gehalten haben. Dabei hat Reinhold Mitterlehner bei seinem Abgang kundgetan, es sei ohnehin schon lange vereinbart gewesen, dass Kurz Spitzenkandidat werde. Aber Kurz wollte die ganze Macht und hat seinen Durchmarsch an die Spitze detailliert vorbereitet.

Und die Partei ist ihm gefolgt. Kurz hat das Momentum nach dem Abgang der starken Landeshauptleute Erwin Pröll und Josef Pühringer genutzt. Erstaunlich ist, wie wenig die ÖVP-Spitzenpolitiker und die Funktionäre ihrer eigenen Entmachtung entgegengesetzt und sich zu Claqueuren, Statisten und Financiers einer Sebastian-Kurz-Bewegung machen ließen. Es werden sogar einstimmig Beschlüsse gefällt, die die Volkspartei zu einer Kanzler-Wahlplattform mutieren lassen. Die ÖVP hat sich einer Person ausgeliefert, ohne das Programm zu kennen, wofür sich Kurz – wie auch bei seinem Team – freie Hand ausbedungen hat. Wofür er mit Ausnahme der Migrationspolitik politisch steht, ist offen.

EU-Bashing im Wahlkampf

Absehbar ist, dass Kurz, so wie in den vergangenen Wochen bereits erprobt, mit EU-Bashing im Wahlkampf punkten will. Kein Wunder, dass ihm als einer der Ersten der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán gratuliert und seine Unterstützung anbietet. Kurz hat den zunehmend autoritär regierenden Orbán wiederholt öffentlich verteidigt. Mit Kurz als österreichischem Regierungschef hätte Orbán auf EU-Ebene sogar einen Mitstreiter gegen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und die Visegrád-Gruppe womöglich ein neues Mitglied.

Merkel und auch der neue französische Präsident Emmanuel Macron vertreten eine klare Pro-EU-Position, Macron hat damit sogar die Wahl gewonnen. Merkels CDU ist wieder im Aufwind und legt von Landtagswahl zu Landtagswahl zu, während die Schulz-Euphorie nach der Niederlage der SPD in ihrem Kernland Nordrhein-Westfalen endgültig abgeebbt ist. Die Stimmung in der ÖVP erinnert an die schon siegestrunkene SPD nach der Nominierung von Martin Schulz – ein Warnsignal.

Kern unter Zugzwang

Mit seiner Entscheidung, Neuwahlen anzustreben, hat Kurz aber auch Kanzler Christian Kern in Zugzwang gebracht. Kern versucht nun zum zweiten Mal, ihm das Vizekanzleramt anzutragen. Eine SP-geführte Minderheitsregierung hat keine Chance, die Noch-Koalitionäre sollten sich rasch auf Zeitplan und Modalitäten für Neuwahlen verständigen.

In Zeiten wie diesen könnte man sich sogar mehr trauen. Sowohl SPÖ als auch ÖVP beteuern, noch Projekte umsetzen zu wollen. Rund zehn Vorhaben – vom Integrationspaket über die Gewerbeordnung bis zur Aktion 20.000 – sind so weit gediehen, dass man die Projekte in den Nationalrat einbringen könnte. Dann könnten die Parlamentarier so abstimmen, wie es das "freie Mandat" in der Bundesverfassung eigentlich vorsieht, und nicht, wie es die Regierungsvorlage vorgibt und der Klubzwang gebietet.

Das wäre ein Beitrag zur Stärkung des Parlamentarismus und böte auch den Oppositionsparteien die Chance zur Profilierung und Positionierung. Denn rasche Wahlen bringen auch FPÖ, Grüne und Neos in Zugzwang, sie müssen sich neu aufstellen. Alles ist möglich in Zeiten wie diesen. (Alexandra Föderl-Schmid, 15.5.2017)