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Bereits drei mutmaßliche Mörder mussten in Kanada aufgrund der Verfahrensfrist freigelassen werden.

Foto: Reuters / Fred Thornhill

Dale Hird (links) mit seinem Sohn Lukas (rechts). Der Vater ist entsetzt, dass die Mörder seines Sohnes nun freikommen könnten.

Foto: Dale Hird

Dale Hird aus der kanadischen Stadt Calgary bewahrt die Zähne seines ermordeten Sohnes Lukas in einer Schachtel auf. Sie wurden am Boden gefunden. Dort, wo der Achtzehnjährige nach einem brutalen Überfall starb. Trotzdem könnten die drei Männer, die Lukas Strasser-Hird im November 2013 zusammenschlugen und erstachen, freikommen. Sein Vater kann nicht fassen, dass so etwas im Justizsystem seines Landes passiert.

Schuld sind die Trägheit der kanadischen Justiz und ein Urteil des höchsten kanadischen Gerichtes. Der Supreme Court of Canada entschied im vergangenen Juli, dass an höheren Gerichten zwischen Anklage und Prozess nicht mehr als dreißig Monate verstreichen dürften. Für Provinzgerichte sind es höchstens achtzehn Monate. Alles andere sei nicht mit der Verfassung vereinbar.

Länger als Frist

Die Mörder von Lukas Strasser-Hird wurden gefasst und rechtmäßig verurteilt. Aber ihr Prozess hatte länger gedauert als die neu vorgeschriebene Frist. Jetzt wollen sie Einspruch erheben und aus dem Gefängnis entlassen werden. Dale Hird ist entsetzt. "Die Leute, die das meinem Sohn angetan haben, sollten für ihr Verbrechen büßen", sagt er, "nicht einen Schlag auf die Finger bekommen und vor allem nicht freigelassen werden."

Heute sieht man im gesamten Land die Folgen des Urteils der Bundesrichter: Deswegen mussten bereits drei mutmaßliche Mörder auf freien Fuß gesetzt werden. Weitere angeklagte oder verurteilte Personen verlangen ebenfalls die Freiheit. Das kanadische Bundesgericht wollte mit seiner Entscheidung der "Kultur der Bequemlichkeit" in der Justiz ein Ende bereiten. Man schulde der Öffentlichkeit eine zügigere Erledigung der Fälle.

Prozessbeginn verzögert

Dass die kanadischen Gerichte zu langsam arbeiten, ist schon seit Jahren bekannt. Aber die Justizinstitutionen beklagen sich über zu wenig Personal und fehlendes Geld, um die Verfahren schneller durchzuführen. Außerdem verzögern findige Anwälte mit Einsprüchen und anderen Taktiken den Prozessbeginn.

Die begrenzten Fristen, die vom Bundesgericht verordnet wurden, haben aber Folgen, die keinem fairen Rechtssystem entsprechen.

Der kanadische Senator George Baker untersucht schon seit längerem die unhaltbare Situation bei den Gerichten. Doch jetzt sieht er noch schwärzer: "Es gibt hunderte – vielleicht tausende – Fälle von Mördern und anderen Leuten, die sehr schlimme Verbrechen begangen haben, die einfach freigelassen werden, weil das Justizsystem nicht fair arbeitet und gegen die Anforderungen der kanadischen Verfassung verstößt", sagte er dem Fernsehsender Global News.

Lange Verfahren

Es fehlt vor allem an Richtern. Laut Baker dauert es in Kanada im Vergleich zu Australien zehnmal länger, bis ein vergleichbarer Prozess abgeschlossen ist. Kanadas Premierminister Justin Trudeau hatte während seines Wahlkampfs eine Reform des Justizsystems versprochen, aber die lässt auf sich warten.

In der Zwischenzeit versuchen Anwälte in mehr als 800 Fällen angeklagte oder verurteilte Klienten wegen überschrittener Fristen freizubekommen. Manche Gerichte behelfen sich in der Not damit, dass sie betrunkenes Autofahren und andere Kleindelikte abweisen, um sich schneller um die Schwerverbrecher zu kümmern. Eine Lösung für die Zukunft ist das auch nicht. (Bernadette Calonego aus Vancouver, 17.5.2017)