Besonders hoch war die Vielfalt der Vibrio cholerae-Bakterien im Schilfgürtel. Dort kommt es häufig zu Rekombinationen verschiedener Stämme und der Entstehung ganz neuer Bakterien-Stämme.

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Wien – Wiener Wissenschafter haben eine erstaunliche Vielfalt des Bakteriums Vibrio cholerae im Neusiedler See festgestellt. Die gute Nachricht ist: Jene beiden Stämme, die die Infektionskrankheit Cholera auslösen, sind nicht darunter. Doch es gibt auch eine schlechte Nachricht: Durch die Klimaerwärmung könnte es trotzdem vermehrt zu Infektionen mit anderen Vibrio cholerae-Stämmen kommen.

Die Bakterienart Vibrio cholerae umfasst zahlreiche verschiedene Stämme. Weit über 100 davon prognostizieren die Wissenschafter in der von der Medizinischen und der Technischen Universität Wien sowie dem interuniversitären Kooperationszentrum "Wasser und Gesundheit" durchgeführten Untersuchung für den Neusiedler See. "Über 90 davon konnten wir nachweisen", sagte Studienleiter Alexander Kirschner vom Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie an der Meduni Wien.

Von Choleraerregern keine Spur

"Jene zwei Typen, die Cholera auslösen, gibt es bei uns nicht", betonte Kirschner. Aufgrund verschiedener Untersuchungen und Indizien geht er davon aus, dass sie sich – selbst wenn sie etwa durch Vögel eingeschleppt würden – aufgrund der vorherrschenden Umweltbedingungen hierzulande nicht vermehren können. Zu den gefährlichen Cholera-Erregern werden die Bakterien erst, weil sie mit Bakteriophagen – das sind Viren, die auf Bakterien spezialisiert sind – infiziert sind. "Wir haben auch eine Methode entwickelt, direkt das Choleratoxin-Gen, das vom Phagen auf die Bakterien übertragen wird, nachzuweisen, doch noch nie eine Spur davon gefunden", so Kirschner.

Im Sommer haben die Forscher im Neusiedler See bis zu 500.000 lebende Vibrio cholerae-Bakterien pro Liter Wasser registriert. Besonders hoch war die Vielfalt im Schilfgürtel, hier komme es häufig zu Rekombinationen verschiedener Stämme und der Entstehung ganz neuer Bakterien-Stämme. Als zweiten Grund für die hohe Vielfalt sehen die Forscher den Eintrag von Bakterien über große Distanzen, etwa über Vögel. Das konnte durch den genetischen Vergleich mit Stämmen aus verschiedenen europäischen Ländern eindeutig gezeigt werden.

Nicht alle sind harmlos

Auch wenn keine Erreger der schweren Infektionskrankheit Cholera im Neusiedler See vorkommen, sind die Artgenossen nicht völlig harmlos, wie die Forscher um Carina Pretzer von der Technischen Universität Wien im Fachjournal "Environmental Microbiology" schreiben. "Zwei Stämme, die wir im See gefunden haben, hatten Jahre zuvor bei Patienten Krankheiten ausgelöst", sagte Kirschner. Dabei habe es sich um Ohrenentzündungen und Wundinfektionen gehandelt.

Relevant ist dies vor allem im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung. In den vergangenen Jahren sei es in vielen Teilen Europas aufgrund höherer Gewässertemperaturen zu mehr Erkrankungsfällen durch Infektionen mit Vibrio cholerae-Bakterien gekommen, so Kirschner, der in diesem Zusammenhang auf die in den vergangenen 30 Jahren um 1,5 Grad Celsius erhöhte durchschnittliche Wassertemperatur des Neusiedler Sees verweist. Dennoch seien solche Infektionen nach wie vor selten.

Gegen die Vibrio cholerae-Bakterien im Wasser des Sees könne man jedenfalls nichts machen. Speziell im Zusammenhang mit dem Klimawandel müsse man die Situation beobachten und analysieren, wie sich die Bakterien verändern bzw. neue Stämme hervorbringen. Zudem müsse man die Ärzte verstärkt auf die Möglichkeit einer Wund- oder Ohreninfektion durch Vibrio cholerae aufmerksam machen. (APA, red, 19.5.2017)