Kanzler Christian Kern erklärte im Parlament, dass er bis zur Wahl in einer "neuen, aktiveren Form" mit den anderen Fraktionen zusammenarbeiten will, Sebastian Kurz will die SPÖ "weiter nicht überstimmen".

Foto: Heribert Corn

Es war sein Tag. Wieder einer. Und er genoss es sichtlich. Denn obwohl auf der Agenda der 179. Sitzung des Nationalrats eigentlich ganz andere Dinge standen, wusste Sebastian Kurz, dass sich an diesem Dienstag alles um ihn und die durch ihn ausgelösten Turbulenzen in der rot-schwarzen Koalition drehen würde. Überpünktlich traf der designierte ÖVP-Chef, korrekt Chef der "Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei", um 9.00 Uhr im Hohen Haus ein, wo Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) die Sitzung etwas verspätet mit der obligatorischen Glocke eröffnete.

Die ÖVP-Reihen im Plenum schienen bis auf einzelne, bekannt stoisch veranlagte Antieuphoriker voller Bewunderer, Begeisterter, Berauschter. Der Neue an der Spitze der Schwarzen – eine Änderung der Parteifarbe ist bis jetzt nicht bekannt – wurde mit Handschlag begrüßt, fotografiert und später eifrigst beklatscht.

Eigentlich war die erste Stunde als aktuelle Stunde deklariert, das Team Stronach gab als Thema "Schutzzonen, Grenzsicherung, Integration: Wahlkampf oder Umsetzung?" vor und bot thematisch eine multifunktionale Rampe.

Klubchef Robert Lugar sorgte dafür, dass der sehr von seinem Handy beanspruchte Außen- und Integrationsminister kurz irritiert aufblickte, weil er ihn mit "Sehr geehrter Herr Vizekanzler" begrüßte und ihm vorhielt, "die eigene Regierung torpediert und zerstört" zu haben und nicht an inhaltlicher Arbeit interessiert zu sein. Als Lugar Kurz mit "Herr Ich-will-nicht-Vizekanzler-sein" titulierte, war ihm ein bunter (exklusive Schwarz) Applaus sicher.

Die ÖVP hatte aber gleich Grund zum Klatschen, denn Kurz erklärte, wie es "mit der Republik und der Regierung" weitergeht. Das tat er an diesem Tag im Parlament zweimal, denn für Mittag war eine Erklärung von Kanzler Christian Kern (SPÖ) angesagt. Kurz erklärte, warum nicht er, sondern Justizminister Wolfgang Brandstetter das verwaiste Vizekanzleramt und Staatssekretär Harald Mahrer das Wirtschaftsministerium bis zur Wahl übernehmen sollen: Ersterer sei "sehr konstruktiv", Letzterer wurde unter "Kontinuität" verbucht.

Beide wurden später von Kanzler Kern akzeptiert. Die Seitenhiebe auf Kurz, der nicht Vizekanzler werden will, gingen aber weiter. Josef Cap (SPÖ) etwa meinte: "Wer den Vizekanzler nicht machen will, kann auch nicht den Bundeskanzler machen." Kurz jedenfalls betonte, der Wahlkampf solle "kurz, intensiv und fair" sein.

Spuren von Hass

Es war dann Brandstetter, der das Wort aussprach, das bis dahin wie eine unsichtbare Wolke über den gegenüberliegenden Sitzen von ÖVP und SPÖ waberte: Hass. Der Bald-Vizekanzler versprach konstruktive Arbeit und brachte die Rede plötzlich auf "Hass im Internet", den er nicht verstehe, aber er habe den "Eindruck, etwas von diesem Hass bemerken wir jetzt wieder in der Politik".

Auf eine konstruktive Scheidung hofft auch SPÖ-Klubchef Andreas Schieder, der statt "Blockadeschauspiel" wichtige Beschlüsse für die Menschen will.

Sein ÖVP-Pendant Reinhold Lopatka verwies auf zehn rote und sieben schwarze Punkte, die man noch gemeinsam beschließen könne und solle (siehe Seite 5).

Die Frage ist: Wie? Zeitpunkt für das Antwortduell war High Noon.

Kanzler Kern, der in Kurz' Weigerung, als Vizekanzler Verantwortung für die Regierungsarbeit zu übernehmen, ein Ehrlichkeitsdefizit in den Absichten sieht, will das von allen ÖVP-Ministern unterschriebene neue Koalitionsprogramm Punkt für Punkt im Nationalrat einbringen "und konsequent auf die parlamentarische Arbeit vertrauen", also mit wechselnden Mehrheiten beschließen.

Integrationspaket

Der künftige ÖVP-Chef Kurz hingegen hält nichts vom sogenannten "freien Spiel der Kräfte". Er sagte: "Ich will den Koalitionspartner nicht überstimmen" und hofft auf gemeinsame Abarbeitung der miteinander vereinbarten Punkte – und "wenn es Unterstützung gibt, dann soll es uns nicht stören". Das sorgte für Empörung bei einigen Abgeordneten. Harald Walser (Grüne) etwa rief: "Wo sind wir denn?! Es stört nicht, wenn das Parlament zustimmt?!"

Dienstagabend blieben SPÖ und ÖVP einander auch noch treu und beschlossen gemeinsam das Integrationspaket samt Verhüllungsverbot in der Öffentlichkeit.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gab sich betont staatstragend und zog Parallelen zwischen Kurz und Kern, die sich in ihrer Inszenierungslust "nicht unähnlich" seien. Schon in der Früh hatte er geätzt, Kurz mache gar keine neue Politik, sondern plagiiere Wolfgang Schüssel, der 1995 plakatiert habe: "Die neue ÖVP. Das ist ein alter Hut – nur ohne Mascherl."

Grünen-Chefin Eva Glawischnig kritisierte die monatelange "Sprengmeisterei" in der Koalition, die auch Kurz geduldet habe, und benannte dafür mit einem Misstrauensantrag gegen Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) eine Person namentlich.

Die Freiheitlichen wollten gleich der ganzen Regierung das Misstrauen aussprechen lassen. Beide Anträge wurden abgelehnt.

"Rufen Sie uns an!"

Apropos Misstrauen: Neos-Chef Matthias Strolz, der mittlerweile einen eigenen Klingelton (Falco) für die ÖVP-Personalrecruiter Kurz und Lopatka hat ("Drah die net um, der schwarze Mann geht um"), wünschte dem Chef der neuen Volksparteibewegung alles Gute: "Wir freuen uns, wenn unsere Kraft ansteckend und inspirierend ist als Bürgerbewegung. Also: Rufen Sie uns an!" Lachen.

Der historisch bewanderte Josef Cap sorgte wiederum für ein heftig akklamiertes Bonmot, das wohl eine etwas längere Frist zur Verifizierung braucht: Angesichts von Kurz' Machtübernahme in der ÖVP erinnerte er sich an eine "Selbstkrönung – und die hat in Waterloo geendet", sagte er mit Blick auf Napoleon. Große Heiterkeit im Parlament. Nur der "alten" ÖVP war da nicht zum Lachen. (Lisa Nimmervoll, 16.5.2017)