Der Wechsel an der ÖVP-Spitze und vor allem die Machtfülle, mit der Außenminister Sebastian Kurz von seiner Partei ausgestattet wurde, sorgten in den Reihen der österreichischen EU-Abgeordneten im Parlament in Straßburg für ablehnende Reaktionen. "Aus europapolitischer Sicht gehe es völlig in die falsche Richtung", eröffnete die Grüne Ulrike Lunacek den Reigen der Kritik. Dass der neue ÖVP-Chef Applaus vom ungarischen Premier Viktor Orbán bekomme, passe ins Bild. Für die SP-Abgeordneten mokierte sich Delegationschefin Evelyn Regner darüber, dass Kurz sich für Europa als Freihandelszone, nicht für soziale Rechte ausspreche. Der FPÖ-Abgeordnete Harald Vilimsky kritisiert, dass dieser "in fast absolutistischer Weise" über Abgeordnetenlisten der ÖVP bestimmen könne. Kurz habe "den perfekt geplanten Vatermord" hingelegt.

EU-Wahlen 2019

Ganz anders Othmar Karas, der Delegationsleiter der Abgeordneten der Volkspartei, der mit dem Außenminister in der Vergangenheit immer wieder öffentlich den Konflikt ausgetragen hat. Kurz sei von vielen in seiner Partei als "Befreiungsschlag" erlebt worden, dieser habe erklärt, dass er die Partei öffnen wolle, sagte Karas. Das begrüße er, denn "wir wollen nicht bei 20 Prozent Wähleranteil stehen bleiben". Der EU-Abgeordnete erinnerte daran, dass er bei den EU-Wahlen 2009 selbst als "Liste Othmar Karas, die ÖVP" angetreten sei und mehr als 100.000 Vorzugsstimmen bekommen habe, "ein hohes Gut".

Was seine Beziehung zum neuen ÖVP-Chef betreffe, sieht der Abgeordnete kein Problem: "Wir haben unterschiedliche Meinungen und Zugänge, aber auch andere Rollen", sagte er, das sei in Ordnung. Es gebe keinen Grund, Überzeugungen aufzugeben, vielmehr wünsche er sich, dass man über die Zukunft Europas noch "viel heftiger" debattiere, das gehöre zu guter politischer Kultur. Mit Kurz werde er sich demnächst treffen und politische Positionen der ÖVP-Delegation beraten. An der proeuropäischen Linie der EU-Delegation bestehe kein Zweifel, betonte Karas. Ob er 2019 erneut bei den EU-Wahlen antreten wird, will er nach den Wahlen in Österreich 2018 sagen. (Thomas Mayer aus Straßburg, 16.5.2017)