Bitte. Danke. Der frühere Bundespräsident Heinz Fischer weist zurück auf einen nicht unerheblichen Grundsatz der Verfassung. Schlechterdings pfeifen viele Schüler zunehmend darauf.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Es sind 73 Prozent der "Austrotürken", viele von ihnen in Österreich schulisch sozialisiert, die "ihren" Präsidenten bei den Forderungen nach einer autoritären Verfassung unterstützen. Die kürzlich veröffentliche Kriminalitätsstatistik belegt einen massiven Anstieg rechtsextremistisch motivierter Straftaten. 43 Prozent der Österreicher wünschen sich den "starken Mann", der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss. In den Ergebnissen einer Umfrage des Historikers Oliver Rathkolb ist die deutliche Zunahme des Law-and-Order-Gedankens in der österreichischen Gesellschaft bemerkbar. Was ist bloß in diesem Österreich, einer der stabilsten Demokratien der Welt mit einem immer noch leistungsfähigen Wohlfahrtsstaat, passiert?

In Bezug auf Demokratieerziehung dürfte die Vorbereitung aufs Leben jedenfalls nicht funktionieren. Insbesondere für Jugendliche aus sozial prekären Lebensverhältnissen ist Schule als Lernraum für politische Bildung zentral. Obwohl politische Bildung seit 1978 ein schulartenübergreifendes verpflichtendes Unterrichtsprinzip ist, werden Schülerinnen und Schüler an österreichischen Schulen in diesem Feld offensichtlich nur unzureichend auf ihre Rolle als Bürger in einer Demokratie vorbereitet.

Aus der Studie "Politische Bildner in Wien" (2014) ist bekannt, dass viele Lehrer es sich selbst nicht zutrauen, kontroverse Themen in ihrem Unterricht zu integrieren, da sie Konsequenzen befürchten oder sich nicht entsprechend ausgebildet fühlen. Gleichzeitig dürfen sie es nicht zulassen, dass Grundwerte der Demokratie und Menschenrechte nachhaltig infrage gestellt werden. Der Unterricht über totalitäre und diktatorische Regime soll im Sinne einer Gegenwartsorientierung auch dazu dienen, Demokratie als Staatsform alternativlos erscheinen zu lassen. Dem entgegengesetzt weisen jüngste Erkenntnisse darauf hin, dass das Wissen über die Geschichte des Nationalsozialismus rückläufig ist und die damit verbundene Erinnerungskultur für immer weniger Menschen von hoher Bedeutung sein dürfte.

Dies ist eventuell auch auf eine eher oberflächliche Betrachtung der nationalsozialistischen Geschichte im Geschichtsunterricht zurückzuführen, denn einer aktuellen Studie aus Salzburg zufolge ist z. B . die Zustimmung zum Opfermythos der Republik bei 14-jährigen Schülern nach wie vor in hohem Ausmaß existent. Den Fokus auf nachhaltige Auswirkungen von Ausgrenzung am Beispiel Nationalsozialismus zu legen kann Schüler dahingehend beeinflussen, dass sie den Wert einer gegenwärtigen liberalen Demokratie wieder besser einschätzen.

Eine kürzlich im Zentrum für politische Bildung durchgeführte Studie zum politischen Verständnis von Schülern der Berufsschule belegt unter anderem starke antisemitische Tendenzen bei muslimischen Jugendlichen. Eine jüngst veröffentlichte Studie im UN-Auftrag beweist, dass arabische Männer Gewalt gegenüber Frauen in großen Teilen begrüßen und eine Gleichberechtigung der Geschlechter weitgehend ablehnen. Berichte über muslimische Schüler, die sich von Lehrerinnen nichts sagen lassen wollen, häuften sich in den letzten Jahren.

Diesen Schülern muss deutlicher als bisher vermittelt werden, dass solche Ansichten dem Ideal demokratischer Grundwerte widersprechen und daher abzulehnen sind. Jedoch dürfte eine große Unsicherheit bei Lehrer, insbesondere in Neuen Mittelschulen und Berufsschulen, existieren, politisch heikle Themen im Unterricht aufzugreifen, bei denen sich Schüler angegriffen fühlen könnten. In Fortbildungsseminaren geben sie an, sie mieden diese Themen, weil sie Reaktionen der Väter oder der Schüler fürchten und nicht "ins rechte Eck" gestellt werden möchten.

Politische Urteile zu fällen und diese faktenorientiert abzusichern ist ein zentrales Ziel der kompetenzorientierten politischen Bildung. Damit verbunden sollen Gegenpositionen zum medialen Mainstream eröffnet werden. Die Erwartung, dass in politischen Diskussionen eine Lösung gefunden und so ein klasseninterner Konsens erreicht werden kann, ist nicht vorrangiges Ziel der politischen Bildung. Aufgabe der politischen Bildung ist es u. a., Alternativen zu gesellschaftspolitischen Narrativen der Familien in der Schule anzubieten.

Rückhalt und Ermutigung

Lehrer, die politische Bildung in ihrem Unterricht integrieren, brauchen daher auch politischen Rückhalt und gesellschaftliche Ermutigung. Es ist in diesem Zusammenhang geradezu grotesk, dass gerade die FPÖ, die sich am lautesten über das Abstimmungsverhalten der "Austrotürken" erregt, Lehrer einzuschüchtern versucht, indem sie z. B. eine Meldestelle für parteipolitischen Missbrauch an oberösterreichischen Schulen einrichtet. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu erwähnen, dass es nie um parteipolitische Werbung im Sinne des Schulunterrichtsgesetzes ging, sondern um die Kritik an demokratiegefährdenden Aussagen von Vertretern der FPÖ.

Sitten zurechtrücken

In Rousseaus Gesellschaftsvertrag heißt es: "Rückt die Meinungen des Volkes zurecht, und seine Sitten werden sich von selbst bessern." Dieses Zurechtrücken könnte eine stärkere Fokussierung auf Menschenrechte und die Grundwerte der Demokratie sein, damit politische Bildung an Schulen einen Beitrag dazu leistet, das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern. (Philipp Mittnik, 17.5.2017)