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"Der Liberalismus funktioniert nur, wenn er die Freiheit konsequent verteidigt – heute etwa gegen die digitale Revolution, die uns zu gläsernen Menschen erniedrigt", sagt der FDP-Politiker Gerhart Baum.

Foto: ap/Matthias Rietschel

STANDARD: Die FDP konnte bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gut zulegen. Stellen Sie schon den Sekt für die Bundestagswahl kalt?

Baum: Die FDP hat es geschafft, sich aus ihrem selbstverschuldeten Tief herauszuarbeiten. Das ist zu einem Großteil Christian Lindner zu verdanken, aber auch einer klaren Politik. Für den Bundestag haben wir eine gute Ausgangsposition.

STANDARD: Der Wahlkampf in NRW war sehr auf ihn zugeschnitten. Auch die Bundespolitik dominiert er als FDP-Chef. Ist das nicht riskant?

Baum: Einzelpersonen prägten schon immer das Bild der Politik – heute vielleicht stärker als früher. Denken Sie an Emmanuel Macron, und wie sehr ist die Union auf Frau Merkel angewiesen. Wir leben in unsicheren Zeiten, da geben Politiker Orientierung.

STANDARD: Die FDP flog 2013 nach vier Jahren schwarz-gelber Koalition aus dem Bundestag. Wäre sie wieder bereit zu regieren?

Baum: Das muss sie. In Nordrhein-Westfalen hat sie dazu einen Wählerauftrag erhalten, und ich hoffe, das geschieht auch im Bund. Die FDP ist heute wieder thematisch breiter aufgestellt. In der Zeit von Guido Westerwelle war sie zu einseitig Wirtschaftspartei. Der Liberalismus funktioniert nur, wenn er die Freiheit konsequent verteidigt – heute etwa gegen die digitale Revolution, die uns zu gläsernen Menschen erniedrigt. Eine liberale Grundkompetenz ist auch der Einsatz für eine freie Wirtschaftsordnung, die allerdings, wo notwendig, den Markt bändigen und den Werten einer solidarischen Gesellschaft folgen muss.

STANDARD: Wird diese Botschaft nach der Silvesternacht von Köln und dem Weihnachtsmarkt-Attentat in Berlin noch gehört?

Baum: Wir kämpfen dafür. Es ging ja um ein Behördenversagen, wie auch im Fall Anis Amri. Wir brauchen keine immer neuen hektischen Reaktionen auf Terroranschläge. Das sind nur Ablenkungsmanöver auf Kosten der Freiheit. Unsere Werte müssen wir täglich verteidigen. Angst ist dabei ein schlechter Ratgeber.

STANDARD: Mehr Bürger sind bereit, ihre Daten sammeln zu lassen, wenn es dafür mehr Sicherheit gibt.

Baum: Ich weiß. Aber es gibt nicht mehr Sicherheit! Wir können uns gegen ein Übermaß wehren. So haben wir vor kurzem ein weiteres Bundesverfassungsgerichtsurteil erstritten, das der ausufernden Fahndung der Polizei einen Riegel vorschob. Und Polizei ist nicht alles, Gewalt beginnt im Kopf, das war schon beim RAF-Terror so und ist bei Jihadisten und anderen Radikalen nicht anders. Wir brauchen mehr Prävention, um Taten zu verhindern.

STANDARD: Sie wurden von den Neos nach Wien eingeladen, um im Neos-Lab über Liberalismus zu diskutieren – auch darüber, wo er sich überholt hat. Wo ist das der Fall?

Baum: Wir müssen immer wieder das Verhältnis zwischen Freiheit und innerer Sicherheit überdenken und das zwischen sozialer Sicherheit und Freiheit. Wir müssen auf neue Herausforderungen – Flüchtlingskrise, Finanzkrise, Klimakrise, Europakrise – auf der Basis unseres Wertesystems antworten und unseren Gesellschaften und vor allem den jungen Menschen Zukunftsperspektiven eröffnen.

STANDARD: Österreich wählt nun, wie Deutschland, im Herbst ...

Baum: Meine Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und ich werden die Neos weiterhin tatkräftig unterstützen. Wir haben erlebt, was es bedeutet, keine starke liberale Stimme im Parlament zu haben. Die Politik verarmt. Und dazu darf es auch in Ihrem Land nicht kommen. (Birgit Baumann, 18.5.2017)