So könnte das – vermutliche – Tier vor 550 Millionen Jahren durch seinen Lebensraum geglitten sein.

Illustration: University of California, Riverside

Riverside – Schon vor dem Zeitalter des Kambriums und dem darin stattfindenden enormen Anstieg der Artenvielfalt gab es in den Meeren komplexe und durchaus große Organismen. Diese Ära trägt inzwischen den Namen Ediacarium – benannt nach einer Fossilienlagerstätte in Australien, in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Überreste von Lebewesen entdeckt worden waren, die Forscher vor ein großes Rätsel stellten.

Obwohl mit dem Spitznamen "Ediacara-Fauna" versehen, konnte niemand sagen, ob es sich dabei tatsächlich um Tiere handelte – und wenn, ob sie in irgendeinem Verwandtschaftsverhältnis zu den heute lebenden Arten standen. Manche Forscher spekulierten auch, dass es sich um einen völlig eigenständigen Zweig des vielzelligen Lebens neben Tieren, Pflanzen und Pilzen handelte, der ausstarb, ohne Nachkommen zu hinterlassen.

Tendenziell geht die Meinung der Fachwelt heute in die Richtung, dass die Ediacara-Fauna zumindest großteils tatsächlich aus Tieren bestand. Diese Richtung schlägt auch eine aktuelle Studie im Fachjournal "Plos One" ein. US-Forscher untersuchten darin einen vor über 550 Millionen Jahren offenbar weit verbreiteten Vertreter der Ediacara-Fauna, nämlich Dickinsonia.

Ein typisches Dickinsonia-Fossil.
Foto: University of California, Riverside

Dickinsonia hatte die Form einer ovalen Scheibe, die Größe reichte von einigen Millimetern bis zu fast eineinhalb Metern Länge. Die Forscher um Mary Droser von der University of California nennen als Größenvergleich eine Badematte – ob sich diese "Matte" mit den Strömungen treiben ließ oder irgendeine Möglichkeit zur aktiven Fortbewegung hatte, ist unbekannt.

Wie es für die Ediacara-Fauna typisch ist, konnten auch bei Dickinsonia keine harten Körperteile festgestellt werden – also auch keine Beißwerkzeuge. Dickinsonia hatte anscheinend weder Mund noch Anus oder einen Verdauungsapparat. Eine US-Studie stellte 2010 die Hypothese auf, dass Dickinsonia über Mikrobenkolonien glitt und diese abweidete, indem sie Verdauungsflüssigkeit freisetzte und die extern aufgelöste Nahrung dann über die gesamte Körperoberfläche aufnahm. Eine solche Ernährungsweise bei einem derart großen Organismus ist heute ohne Beispiel.

Komplexes Wachstum

Drosers Team fokussierte aber auf ein anderes Charakteristikum von Dickinsonia, nämlich die Bänderung, die ihren Körper segmentiert. Diese Bänder gehen beidseitig von einer zentralen Achse aus, weshalb schon eine Zugehörigkeit zu den Bilateria angenommen wurde. Dazu gehören alle bilateralsymmetrisch aufgebauten Tiere: Wirbeltiere ebenso wie Gliederfüßer, Weichtiere oder Plattwürmer.

Drosers Team analysierte zusammen mit australischen Kollegen Größe, Form und Struktur von beinahe 1.000 Dickinsonia-Fossilien, um Aufschlüsse über das Wachstum der seltsamen Lebewesen zu gewinnen. Sie kamen zum Schluss, dass der segmentierte Körper nach einem ähnlichen System wie der von Bilateria wuchs. Das Ausbilden neuer Segmente bedurfte einer komplexen genetischen Regulierung, damit die ovale Form des Körpers erhalten blieb.

Da Dickinsonia mit Mund und Anus grundlegende Merkmale von Bilateria fehlten, kann sie nicht deren Vorfahrin gewesen sein. Droser vermutet aber, dass Dickinsonia und die Bilateria einen gemeinsamen Ahnen hatten, der einige grundlegende genetische Züge an beide weitergab. Dickinsonia starb aus, während ihre "Cousins", die einige praktische neue Merkmale entwickelt hatten, weiterlebten. Zumindest würde dies aber bedeuten, dass das rätselhafte Lebewesen tatsächlich ein Tier war. (jdo, 18. 5. 2017)