Mit dem unübersehbaren Fokus auf Künstliche Intelligenz ging im Rahmen der Google I/O 2017 fast schon unter, dass das Unternehmen auch andere Neuerungen zu verkünden hatte. Einem dieser Themen widmete sich Google an Tag 2 noch einmal gesondert mit einer eigenen Keynote – und lieferte dabei eine ganze Reihe zusätzlicher Informationen.

Daydream 2.0

Unter dem Codenamen "Euphrates" arbeitet Google derzeit an der Version 2.0 seiner Virtual-Reality-Plattform Daydream, bestätigt Clay Bavor, Chef der VR-Abteilung bei dem Softwarehersteller. Diese soll unter anderem mit einem neuen Homescreen-Design aufwarten können, das im Rahmen der Konferenz auch gleich erstmals zu sehen war. Zudem soll es künftig möglich sein, einen Blick auf wichtige Informationen wie Benachrichtigungen oder Akkustand zu werfen, ohne die gerade laufende VR-App verlassen zu müssen.

Daydream Home in der Version 2.0
Grafik: Google

Ebenfalls neu ist Chrome VR, also eine Version des Browsers, die direkt in der virtuellen Umgebung genutzt werden kann. Außerdem kündigte man eine neue Version von Youtube VR an, mit der mehrere Personen zeitlich synchronisiert das gleiche 360-Grad-Video schauen und sich darüber austauschen können. Außerdem soll Daydream 2.0 das Casten des VR-Geschehens an einen Fernseher ermöglichen, alternativ dazu können auch Screencasts oder Bildschirmfotos erstellt werden.,

High-End-Grafik

Die interessanteste Ankündigung richtet sich allerdings an Entwickler: "Seurat" nennt sich, nach dem französischen Maler, eine neue Technologie, die die Wiedergabe von High-End-VR-Umgebungen auf mobilen Geräten ermöglichen soll. Man nutze hier einige "clevere Tricks", um Grafiken in Desktop-Qualität oder sogar noch darüber zu ermöglichen. Wie das ganze im Detail funktioniert verriet man noch nicht, allerdings soll damit eine Reduktion der Texturgröße um den Faktor 300 möglich sein. Es ist aber davon auszugehen, dass das Ganze nur für eng begrenzte Umgebungen funktionieren wird und beispielsweise nicht für weitläufige Spiele.

Google

Demonstration

Was damit schlussendlich möglich sein soll, demonstrierte man in Partnerschaft mit der Lucasarts-Tocherfirma ILMxLAB, die eine Rogue-One-Experience auf Basis von Seurat entwickelt hat. Weitere Details zu der Technologie will man in den kommenden Monaten veröffentlichten. Auch für Daydream 2.0 nennt man derzeit noch kein Release Datum, hier dürfte aber eine Release parallel zu Android O nahe liegen, das voraussichtlich im August erscheinen sollte.

Standalone VR

Bereits am Mittwoch hatte Google verkündet, dass man gemeinsam mit mehreren Partnern an der Entwicklung neuer VR-Headsets arbeite, die "standalone" – also ohne Anbindung an Smartphone oder PC – funktionieren sollen. Ein entsprechendes Referenzdesign wurde in Kooperation mit Qualcomm entworfen, als Prozessor wird ein Snapdragon 835 genutzt, also das aktuelle Topmodell des Chipherstellers. Einer der Vorteile des Standalone-Designs sei, dass so das Gewicht besser verteilt werden könne, was den Tragekomfort erhöhen sollte, wie Bavor in einem Presse-Briefing betont.

WorldSense

Eines der zentralen Features dieses Designs nennt sich WorldSense, und soll dafür sorgen, dass die VR-Brille das Umfeld der Nutzer und deren Positionierung im Raum exakt erfasst – und zwar ganz ohne externe Sensoren. Konkret werden hier zwei Weitwinkelkameras eingesetzt, die auf der Brille angebracht sind, und das Umfeld laufend analysieren. Die passende Technologie hat man übrigens vom Augmented-Reality-System Project Tango übernommen, und noch einmal gezielt auf niedrige Latenz optimiert – von 5ms ist die Rede.. Als Controller soll der gleiche zum Einsatz kommen, den schon Daydream nutzt, was auch bedeutet, dass hier keine exakten Handbewegungen nachvollzogen werden können. Anwendungen wie Googles eigenes Tilt Brush, eine Mal-App für HTC Vive, seien damit also vorerst nicht möglich, bestätigt Bavor.

Ausbau

Google sieht all dies als Erweiterung seiner Daydream-Plattform, was auch bedeutet, dass bestehende Apps bei der neuen Hardwaregeneration ebenfalls funktionieren sollen. Zu kaufen soll es das Ganze dann bereits gegen Ende des Jahres geben. Sowohl HTC (Vive) als auch Lenovo arbeiten derzeit an entsprechende Standalone-VR-Brillen, betont Google. Aus dem mit Qualcomm entwickelten Referenzdesign soll hingegen kein eigenes Google-Device entstehen, hier überlässt man lieber den Partnern den Vortritt.

Preislich soll die Standalone-VR-Brille – wenig überraschend – deutlich teurer als Daydream View oder Gear VR sein, immerhin wird hier auch die ganze Hardware mitgeliefert, während bei reinen Hüllen eigentlich noch das Smartphone in einen Kostenberechnung einbezogen werden müsste. Konkret festlegen will sich Bavor in dieser Hinsicht noch nicht, zu erwarten seien aber Regionen, in denen sonst HTC Vive und Co. angesiedelt sind.

Erfolge

Am Rande geht der VR-Chef auch auf immer wieder auftauchende Fragen zum Erfolg von Daydream ein. Immerhin gibt es bisher nur eine Handvoll Smartphones, die Googles Plattform unterstützt. Der Android-Hersteller betont allerdings, dass diese Zahl schon bald stark wachsen solle. So werde etwa das Galaxy S8 im Sommer ein Update erhalten, mit dem Daydream-Support nachgereicht wird. Und im Herbst soll dann ein neues LG-Topgerät kommen, das ebenfalls die VR-Plattform unterstützen soll. Damit bestätigt Google übrigens indirekt, dass das LG V30 einen AMOLED-Bildschirm haben wird – die bisher von LG bevorzugten IPS-LCDs sind nämlich nicht kompatibel mit der Daydream-Spezifikation, da solche Screens zu viel Hintergrundleuchten aufweisen.

Trotzdem ist sich Bavor natürlich klar, dass derzeit die Installationszahlen von VR-Apps und -Games noch vergleichweise niedrig seien, wie er auf Frage des STANDARD eingesteht. Aus einem ökonomischen Standpunkt rentiere sich die Entwicklung derzeit noch kaum, viele Entwickler wollen aktuell einfach Erfahrungen sammeln und so in die Zukunft investieren. Google selbst fördere dies, in dem man die Entwicklung zum Teil auch finanziell unterstütze. (Andreas Proschofsky aus Mountain View, 19.5.2017)