Informationen müsse man heute zwar nicht mehr parat haben, aber sehr wohl einordnen und bewerten können, sagt Gerald Reisinger, Geschäftsführer der FH Oberösterreich.

Foto: istock

Reisinger: "Tatsächlich gibt es international eine Tendenz, Privatuniversitäten aufzubauen und zu pushen. Ich sehe das allerdings positiv – jeder zusätzliche Mitspieler am Markt treibt Dinge voran."

Foto: Mario Riener Photography

Anfang Juli setzen sich in Wien Universitätsrektoren aus der ganzen Welt mit Bildungskonzepten der Zukunft auseinander. Die Konferenz der International Association of University Presidents (IAUP) findet erstmals in Österreich, statt. Thema heuer: "Innovation in Education". Wie verändern sich Hochschulen im Antlitz der fortschreitenden Digitalisierung? Werden künftig alle nur noch via Computer studieren? Und wird alles Wissen googlebar? Gerald Reisinger, Geschäftsführer der Fachhochschule Oberösterreich, mit einem Ausblick.

STANDARD: Die International Association of University Presidents ist Veranstalter der IAUP Triennale, die heuer erstmals in Wien stattfindet. 400 Universitätsrektoren kommen zusammen. Was sind gemeinsame Herausforderungen?

Reisinger: Die große Challenge, vor der alle Universitäten weltweit stehen, ist, Ergebnisse im Bereich grundlagenorientierte Forschung stärker an die Wirtschaft weiterzugeben. Österreichischen Fachhochschulen gelingt diese Kooperation schon recht gut, sie haben das quasi in den Genen. Daher dienen sie auch weltweit als Best-Practice-Beispiele.

STANDARD: Reagieren Hochschulen schnell genug auf Megatrends wie Alterung und Digitalisierung?

Reisinger: Viele arbeiten intensiv an diesen Themen. Aber die zeitlichen Vorläufe sind lang, es könnte schneller gehen.

STANDARD: Man hat den Eindruck, dass bei diesen Zukunftsfeldern Private das Ruder übernehmen. Die École 42 in Paris oder die Code-University in Berlin bilden Programmierer aus. Hierzulande blühen medizinische Privat-Unis auf.

Reisinger: Tatsächlich gibt es international eine Tendenz, Privatuniversitäten aufzubauen und zu pushen. Ich sehe das allerdings positiv – jeder zusätzliche Mitspieler am Markt treibt Dinge voran. Im deutschsprachigen Raum hinken wir in der Entwicklung sogar hinterher, unsere Tradition ist die Finanzierung durch die öffentliche Hand. Gerade im angloamerikanischen und asiatischen Raum steht privat für Qualität.

STANDARD: Hierzulande zweifeln Kritiker hingegen an der Qualität der privaten Angebote. Wo stehen Sie in dieser Debatte?

Reisinger: Vielleicht kommt diese Kritik aus dem Ärger darüber, dass wir in manchen Bereichen, wie Medizin, einmal Weltspitze waren und es jetzt nicht mehr sind.

STANDARD: Von Inhalten zu Methoden: Wie ist es um die digitale Lehre, Topthema der Konferenz, bestellt?

Reisinger: Ich war vor kurzem in Arizona, in den USA, und habe ein Institut für Medizintechnik besucht. Dort trainieren Chirurgen mittels Augmented Reality minimalinvasive Operationen – wie am echten Patienten. Die technische Universität Sydney lässt die Studenten Laborübungen über das Web absolvieren. Beide Universitäten werden ihre Erfahrungen auf der Konferenz präsentieren.

STANDARD: Trend sind auch MOOCs, Onlinekurse. Sollte man sie in Österreich stärker einsetzen?

Reisinger: Auf jeden Fall. Ich wehre mich allerdings dagegen, ausschließlich auf Distanz zu lehren. Was ein Studium ausmacht, ist die Interaktion mit den Professoren, mit den Mitstudierenden.

STANDARD: Digitales also als Ergänzung, nicht aber als Ersatz?

Reisinger: Wo immer der theoretische Aspekt im Vordergrund steht, bietet es sich an. Beispiele sind der juristische oder der betriebswirtschaftliche Bereich. Bei Elektrotechnik oder Maschinenbau wird es schwieriger.

STANDARD: Experten der Bertelsmann-Stiftung skizzieren in "Die digitale Bildungsrevolution" die Uni der Zukunft: Wenige Lehrende halten – per Video – Vorlesungen. Der Rest sind Mentoren. Realistisch?

Reisinger: Ja. Die Rolle wird in Zukunft nicht mehr die der Frontalvortragenden sein. Information ist heutzutage jederzeit verfügbar und abrufbar. Was Junge also lernen müssen: sie zu bewerten, zu verarbeiten, einzuordnen. Ihnen dabei zu helfen, wird künftig die Aufgabe der Lehrenden sein. Aber: Zum Einordnen benötigt man Grundlagenwissen. Vereinfacht gesagt könnten in den ersten zwei Studiensemestern Werkzeuge vermittelt werden – danach geht es ums Coaching.

STANDARD: Wieso lag Ihnen so viel daran, die Konferenz dieses Jahr – nach New York und Yokohama – nach Österreich zu holen?

Reisinger: Ich glaube, dass es wichtig ist, einmal aufzuzeigen. Es könnte uns, die wir ja immer über unser Bildungssystem nörgeln, eine Spur selbstbewusster machen. Aber auch nach außen hin gilt es zu zeigen: Seht her, österreichische Hochschulen sind gut. So könnten sich wieder mehr Studierende, mehr Professoren dafür entscheiden, hierherzukommen.

STANDARD: ... und der Braindrain wird nach Österreich gelenkt?

Reisinger: Dafür ist es höchste Zeit. In den letzten zehn Jahren sind alle in die USA gegangen. Jetzt sind die Chancen gut, das zu ändern – es entsteht gerade eine kritische Distanz zum amerikanischen Bildungssystem. Man ist den Europäern unterlegen, wenn es darum geht, flexible, unkonventionelle Lösungen zu finden.

STANDARD: Sie sind neuer Generalsekretär der IAUP, im Juli starten Sie in dieser Funktion. Worauf wollen Sie Ihren Fokus legen?

Reisinger: Ich möchte länderübergreifende Projekte und Kooperationen initiieren, die der gemeinsamen Forschung dienen. Sie kommt bisher zu kurz. (Lisa Breit, 30.5.2017)