Stefano Mancuso, "Aus Liebe zu den Pflanzen". € 22,90 / 174 Seiten. Kunstmann, 2017

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Pflanzen sind "komplexe Wesen mit kommunikativen Fähigkeiten, raffinierten Verteidigungsstrategien und sozialen Beziehungen": So umreißt Stefano Mancuso seine Überzeugung. Sie ist das Resultat langjähriger Forschung, für die der italienische Pflanzenneurobiologe weit über die Grenzen seines Fachgebiets hinaus bekannt geworden ist.

Das lag vor allem an dem Buch "Verde brillante" (auf Deutsch "Die Intelligenz der Pflanzen"), das er vor vier Jahren gemeinsam mit der Agrarwissenschafterin und Journalistin Alessandra Viola veröffentlicht hat und das sich in vielen Sprachen gut verkauft. Er wurde zu TED-Talks eingeladen, Michael Pollan widmete ihm im New Yorker ein ausführliches Porträt, und 2016 zählten die Autoren zu den Preisträgern für die Wissenschaftsbücher des Jahres, verliehen vom österreichischen Wissenschaftsministerium.

Nun ist von Mancuso ein weiteres Buch erschienen, das ebenfalls auf allgemeinverständliche Weise Interesse für seinen Zugang zur pflanzlichen Welt wecken will. Er nennt es einen Prolog zur Intelligenz der Pflanze und beruft sich auf Vorfahren im Geiste, die bereits vor langer Zeit "Erscheinungsformen der belebten Welt mit teilnehmender Aufmerksamkeit" betrachtet haben. In Aus Liebe zu den Pflanzen beschreibt er die Leistungen von Landwirten, Forschern und Amateuren, die, jeder auf seine Art, zum Verständnis einer komplexen Lebenswelt und ihrer Beziehung zu den Menschen beigetragen haben.

Kein Wissenschaftsbuch also, dafür eine lebendige Galerie von Menschen. Leonardo da Vinci etwa hat neben weiteren Pioniertaten auch die ausgeklügelten Methoden von Blättern beschrieben, Wasser aufzunehmen. Er interpretierte wahrscheinlich als Erster die Baumringe als Lebensjahre und erklärte die "Unrundheit" von Bäumen als Folge klimatischer Bedingungen. Goethe als Pflanzenforscher ist ein Kapitel gewidmet, ebenso Mendel, Rousseau und mehreren Mitgliedern der Familie Darwin: Charles hatte bereits vor fast 150 Jahren auf eine Eigenart von Pflanzen hingewiesen, über die Mancuso heute forscht: dass Wurzelspitzen Besonderheiten des Bodens – Feuchtigkeit oder Helligkeit zum Beispiel – benachbarten Wurzeln mitteilen können.

Die gesammelten Geschichten von Entdeckern, die die Welt veränderten – so der Untertitel – ergeben ein Plädoyer für eine weniger ausbeuterische Sicht auf die Pflanzenwelt, eine Vision sozusagen mit Bodenhaftung. Mancuso macht kein Hehl aus seiner Bewunderung für die nichthierarchische Organisation dieser Lebewesen, die er mit einem Ameisenstaat vergleicht: Überlebensstrategen hätten sie, die evolutionsmäßig gesehen klüger mit Katastrophen umgehen können als die hochspezialisierten Tiere und Menschen.

Vision mit Bodenhaftung

Mit seinen Argumenten für eine holistische Betrachtungsweise und gegen die Dominanz von abgekapselten Einzelwissenschaften hat sich Mancuso in der Forschergemeinschaft nicht nur Freunde gemacht. Und es hat auch nicht geholfen, dass vor langer Zeit der Bestseller eines amerikanischen Autorenpaares, Das geheime Leben der Pflanzen, das von deren "Charakter und Seele" schwärmte, die einschlägige Forschung in ein esoterisches Licht rückte. Immerhin billigen Kollegen wie der Zellbiologe Christian Luschnig von der Wiener Bodenkultur Mancuso zu, dass aus seinem "unorthodoxen Zugang, wenn er auch momentan schwer zu testen ist, etwas werden kann".

An der Überprüfbarkeit seiner Hypothese, dass Pflanzen eine eigene Art von dezentraler Intelligenz besitzen, arbeitet Mancuso laufend in seinem Institut an der Universität Florenz. Wenn's um den größeren Überblick geht, trifft er sich gern mit Diskussionspartnern wie etwa dem Slow-Food-Gründer Carlo Petrini. Aus deren Gesprächen wurde auch ein Buch, Die Wurzeln des guten Geschmacks. Warum sich Köche und Bauern verbünden müssen. Nämlich darum: Wir leben, so ein Hauptargument, in einer Zeit von Überproduktion und vierzigprozentiger globaler Verschwendung von Nahrungsmitteln und zugleich in einer Zeit von Hungersnöten. Für die beiden italienischen Intellektuellen ist klar, dass diesem Skandal eine Verkettung mehrerer zusammenhängender Faktoren zugrunde liegt: neben den politischen Gegebenheiten ein Raubbau an der Natur, Monokulturen und die extreme Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion. Das Verschwinden der Biodiversität mache die gegenwärtige Lage noch schlimmer (Biodiversi heißt das Buch auch im Original).

Petrini greift Mancusos Begriff von der dezentralen Organisation einer Pflanze auf und wendet ihn auf die Organisationsform von Terra Madre an, dem Slow-Food-Netzwerk von lokalen Landwirten. Mancuso seinerseits geht auf den Ursprung des Begriffs "Kultur" ein, der ja im Anbau die Wurzel unserer Zivilisation ortet. So spielen sich die beiden die Bälle zu, sind sich vielleicht etwas zu einig. Doch die Fragen, die sie stellen, sind radikal und fordern einen auf, über ebenso grundlegende Antworten nachzudenken; vielleicht gar danach zu handeln. (Michael Freund, 22.5.2017)