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Die Rücktrittsforderungen gegen Brasiliens Staatschef Michel Temer werden immer vehementer.

Foto: AP / Andre Penner

São Paulo – Mit versteinerter Miene steht Brasiliens Präsident Michel Temer im Planalto-Palast. "Ich werde nicht zurücktreten", wiederholt er mehrfach. Während der konservative Staatschef vor den Fernsehkameras um sein Amt kämpft, werden die Rücktrittsforderungen gegen ihn immer vehementer. Kaum jemand glaubt noch an eine politische Zukunft des 76-Jährigen. Die Korruptionsvorwürfe gegen Temer wiegen zu schwer.

Das Oberste Gericht leitete umgehend Ermittlungen gegen den Präsidenten ein. Die Märkte reagierten heftig auf das politische Erdbeben. In São Paulo verlor der Leitindex innerhalb von nur einer halben Stunde sämtliche Gewinne des laufenden Jahres. Der Handel wurde zeitweise ausgesetzt. Die Landeswährung Real sackte um sieben Prozent zum Dollar ab.

Fast 14 Prozent Arbeitslosigkeit

Ende August wurde Temer nach einem juristisch zweifelhaften Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff als Präsident vereidigt. Sein wichtigstes Versprechen: die Ankurbelung der Wirtschaft. Doch bei den Brasilianern ist der Optimismus längst verflogen. 2016 sank die Wirtschaftsleistung erneut um 3,6 Prozent. Ende April erreichte die Arbeitslosigkeit mit 13,7 Prozent eine neue Rekordmarke. Mehr als 13 Millionen Menschen, so viele wie nie zuvor, sind in Lateinamerikas größter Volkswirtschaft ohne Job.

Wirtschaftsvertreter halten Temer jedoch zugute, wichtige Reformen angestoßen zu haben. Dieser Reformprozess werde jetzt gestoppt werden, befürchten sie. Zuletzt waren nach drei Jahren Rezession erste Zeichen einer Erholung sichtbar. Das Interesse von Investoren nahm zu. "Das Szenario ist jetzt sehr unsicher, man kann selbst für den nächsten Tag keine Prognose abgeben", sagt Solange Srour, Chefökonomin bei ARX-Investments, in brasilianischen Medien. Das Einzige, was sicher ist: Für die Märkte sei die aktuelle Situation "sehr schlecht".

Privilegierte entgehen Pensionsreform

Unter starkem Protest der Gewerkschaften und sozialer Bewegungen hatte Temer im Kongress ein Sparpaket durchgesetzt, mit dem die Staatsausgaben auf 20 Jahre eingefroren werden. Stark betroffen ist das ohnehin schon unterfinanzierte Bildungs- und Gesundheitswesen. Auch das soziale Wohnbauprogramm, eines der Flaggschiffe der Vorgängerregierung, wurde gen null gefahren.

Vor dem Finale stand eine Pensionsreform, die mit Kürzungen und der Anhebung des Pensionsalters verbunden ist. Privilegierten Militärs, Politikern und hohen Staatsdienern bleiben die harten Einschnitte allerdings erspart.

Verstrickt in Korruption

Mit den Maßnahmen sollte das hohe Staatsdefizit verringert werden. Außerdem war die Regierung dabei, das rigide Arbeitsrecht zu vereinfachen, um das Land für Investoren attraktiver zu machen.

Doch die Mehrheit der Brasilianer wirft Temer Versagen bei der Korruptionsbekämpfung vor. Seine Regierungspartei PMDB profitierte stark von Schmiergeldzahlungen und illegaler Wahlkampfhilfe. Gegen die Hälfte der Kabinettsmitglieder wird ermittelt. Untersuchungen des Korruptionsskandals "Lava Jato" um den Erdölkonzern Petrobras bringen fast täglich Neues ans Licht. Auch bei Brasiliens Bauriesen Odebrecht hielt die PMDB mit Wissen ihres Parteichefs Temer die Hand auf. (Susann Kreutzmann, 19.5.2017)