Aleksandar Mraovic ist ein schlagkräftiger Boxer. An der Beinarbeit arbeitet er noch.

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Bei der U22-EM holte Mraovic (links) heuer Silber. In diesem Jahr stehen noch Europameisterschaft und WM an.

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Mike Tyson (links) ist Mraovics Vorbild. "Er hatte ein schweres Leben. Er ist ein explosiver starker Typ."

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Wien – Die Geschichte von Aleksandar Mraovic wäre vielleicht sogar Hollywood zu kitschig. Aber die Geschichte ist längst nicht zu Ende. Sie könnte noch kitschiger werden. Olympia 2020: "Ich bin hundertprozentig sicher, dass ich eine Medaille mache", sagt er.

Mai 2017, Wien, Ottakring, Boxclub Bounce. 16 der besten österreichischen Boxer und zwei Boxerinnen haben sich um 18 Uhr zum Training eingefunden. Zunächst wird 15 Minuten gelaufen, dann Partnerübungen. Am Ende jeder Übung pfeift Daniel Nader. Der Coach hat den Klub mit aufgebaut. Es läuft gut. Boxtraining ist trendig. Nicht alle wollen zu Olympia.

Mraovic schon. "Boxen hat mein Leben verändert", sagt der 20-jährige Wiener. Seine Kindheit war nicht einfach. Die Eltern ließen sich früh scheiden. Als Achtjähriger übersiedelte er mit Mutter und Stiefvater nach Banja Luka (Republika Srpska / Bosnien-Herzegowina). Eine schwierige Umstellung für den Buben. "Ich konnte nur wenig Serbisch." Er lernte die Sprache schnell. Nach vier Jahren ging es zurück nach Wien. Wieder eine schwierige Umstellung. "In Bosnien", erzählt er, "waren die Kinder damals kindlicher. In Wien waren sie aggressiver."

Gemobbt und geschlagen

Irgendwann sei er dann auf Facebook gemobbt worden. "Vielleicht weil ich fett war. Man sucht sich einfach ein Opfer." Teenager hätten den damals 14-Jährigen geschlagen. "Ich hatte Angst, ich wollte nicht mehr rausgehen." Also wollte Mraovic lernen, sich selbst zu verteidigen. Er ging zum Boxtraining. Das war 2012, Mraovic war damals 15.

"Bandagieren, Handschuhe anziehen", ruft Nader, als die Trainingseinheit eine halbe Stunde alt ist. Leichtes Sparring steht auf dem Programm. Am nächsten Tag sollte ein Kampf anstehen. Dass Mraovics Gegner ausfiel, konnte nicht vorhergesehen werden.

Im Gym 23 in Wien-Liesing begann Mraovic vor fünf Jahren zu trainieren. Die Kilos purzelten, boxerisch machte er unter Coach Johann Senfter schnell große Fortschritte. 2012 nahm Mraovic an einem Sichtungslehrgang des Boxverbandes teil. Die Nachwuchsboxer werden dabei in verschiedenen Kategorien bewertet. Mit einer bestimmten Punktezahl schafft man es in den Nationalkader. Mraovic scheiterte knapp. "Aber irgendwas hat der", dachte Daniel Nader, der den Lehrgang leitete. Also nahm er ihn auf. Dass Mraovic 2013 bei der Junioren-EM nach einem Jahr Training Bronze holte, damit hatte auch Nader nicht gerechnet.

Schattenboxen

19.05 Uhr. Nader: "Eine Runde Schattenboxen." In der linken Hand hält der Coach eine Stoppuhr, in der rechten eine Pfeife. Immer wenn Nader pfeift, beginnt der Boden zu beben. Dann geben die 16 Boxer und die zwei Boxerinnen Gas. Das Szenario wiederholt sich einige Male. Ein bisschen schwitzen darf auch in einer lockeren Trainingseinheit sein.

Mraovic beim Intervallschattenboxen
derStandard.at

Mraovics Trainingsleistung, sagt Nader, sei eher durchschnittlich. "Er ist ein Wettkampftyp." Der rechte Haken ist der beste Schlag des Linksauslegers. Die Beinarbeit, die Koordination können noch verbessert werden.

Bei den Jugend-Europameisterschaften 2014 und 2015 erkämpfte sich Mraovic jeweils erneut Bronze. Im Vorjahr wurde er Staatsmeister, er wechselte zum Boxclub Bounce. Im März 2017 holte er die nächste Medaille: Silber bei der U22-EM in Rumänien. Mraovic kämpft im Superschwergewicht. Bei 1,86 m Größe wiegt er wie früher mehr als 100 kg. Dick ist er aber nicht mehr.

Boxen statt Blödsinn

20 bis 25 Stunden trainiert Mraovic in der Woche. "Boxen", sagt er, "hat mein Leben verändert. Ich hätte sonst Blödsinn gemacht." Er raucht nicht mehr, trinkt nicht mehr. Nach Problemen bei der Lehrstellensuche absolviert er nun die letzte Klasse der Sporthandelsschule in Wien-Favoriten. "Am liebsten würde ich nur noch boxen", sagt Mraovic. Aber er weiß, dass die Ausbildung wichtig ist. Auch weil er Verantwortung trägt.

Im Vorjahr wurde er Vater eines Buben. "Das hat alles verändert. Früher war mein Ziel, Boxweltmeister zu werden, jetzt will ich ein guter Vater sein." Und weil er gut für seinen Sohn sorgen will, will er erst recht Box-Weltmeister werden. Nach Olympia 2020 in Tokio will er Profi werden. "Ich will kein Leben führen, in dem man das ganze Jahr für vier Wochen Urlaub arbeitet."

Verrückt, mutig, leidenschaftlich

Im Boxklub Bounce neigt sich die Trainingseinheit dem Ende zu. Lockern, Dehnen. "Das war doch human", sagt Nader. Über seinen Schützling sagt er: "Er ist ein bisschen verrückt." Aber er bringe Mut und Risikobereitschaft mit. Und Leidenschaft. Mraovic: "Ich liebe das Kämpfen. Ich fühle mich lebendig dadurch."

Gemobbt wird er längst nicht mehr. Dem Anführer der Teenager, die ihn damals geschlagen haben, ist er irgendwann wieder begegnet. Er muss ihn nicht mehr fürchten. "Boxen", sagt Mraovic, "ist meine Chance auf ein sorgenfreies Leben." (Birgit Riezinger)