Radfahren mit möglichst wenig Bodenkontakt. Peter Kaiser zählt zur Elite der heimischen Dirtjump-Szene.

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Der 20jährige Tiroler liebt sein Hobby und will es gerade deshalb nicht zum Beruf machen.

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Nur wenige Fahrer in Österreich beherrschen Tricks wie diesen.

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Innsbruck – Hier im Außerfern würde man viel vermuten, aber sicher keine lebendige Dirtjump-Szene. Die abgelegene Region im Nordwesten Tirols ist vor allem für ihre wildromantische Natur bekannt. Inmitten derselben, gut versteckt in einem Waldstück nahe seinem Wohnort Breitenwang, haben sich ein paar Buben aus der Gegend ihren Traum verwirklicht: ein handvoll Holzkicker, gewaltige Landehügel aus Erde und eine mächtige Startrampe. Der 20jährige Peter Kaiser ist so etwas wie der Kopf dieser Truppe, der leidenschaftlichste unter den begeisterten Bikern. Egal ob Regen oder Schnee, Tag oder Nacht, es gibt kaum Verhältnisse, die ihn davon abhalten könnten, sich mitsamt Fahrrad in die Luft zu katapultieren.

In seinem jüngsten Video zeigt Peter Kaiser, dass er kein Schönwetter-Biker ist.
Peter Kaiser

Dirtjumpen oder Dirt ist eine Spielart des Mountainbikesports bei der man über Holz- oder Erdrampen auf künstlich angelegte Landehügel springt. Slopestyle ist sozusagen die Steigerungstufe davon, die diverse gebaute Hindernisse inkludiert und meist auf einem Hang stattfindet. Gewertet werden die Schwierigkeitsgrade der gezeigten Sprünge. Die Räder, die eigens dazu verwendet werden, sind in der Regel 26-Zoll Hardtails mit einer 100 mm-Federgabel. Mittlerweile fahren die Topathleten der Szene aber bereits Fullys, weil die Sprünge und die damit einhergehenden Kräfte immer größer werden. Dirtbikes verfügen über nur einen Gang und eine Bremse, deren Leitung extra lang ist, damit Tricks wie das Drehen des Lenkers möglich sind.

"Flips sind eine Sache der Überwindung"

Diese Spielart des Mountainbikesports führt ein Nischendasein in der Nische. Es gibt nur sehr wenige Parcours, auf denen die Sportler üben könnten. In der Regel bauen sich die Athleten wie Peter Kaiser ihre Spots selbst. Die alte Bikerweisheit "No dig, no ride" – sprich: wer nicht selber Strecken und Sprünge baut, braucht auch nicht zu fahren – ist in dieser Szene Programm. Kaiser und seine Freunde schaufelten immer größere Sprünge im heimatlichen Wald auf. Parallel dazu wurden auch die Tricks, die er einstudierte, immer schwieriger. Dabei datiert Kaisers erster Backflip nur drei Jahre zurück. Wobei der Rückwärts- oder Vorwärtssalto bei weitem nicht zu den schwierigsten Übungen am Fahrrad zählen, wie er sagt. Die Spin Tricks, also Schrauben um die körpereigene Längsachse, seien da schon herausfordernder. "Flips sind eine Sache der Überwindung, weil man kopfüber durch die Luft fliegt. Aber die Rotation beim 360er ist schwieriger hinzubekommen", sagt der Experte.

Seit zwei Jahren springt Kaiser auch Cork Tricks, das ist eine Kombination aus Rotation um die Längs- und die Querachse. Daher der an den Korkenzieher angelehnte Name. Kaiser springt diese Tricks in beide Richtungen, das können nur eine handvoll Fahrer im Land. Die dafür nötige Körperbeherrschung rührt von seiner Erfahrung im Turnen und im Turmspringen her. Geübt werden die Tricks nicht in der Schnitzelgrube oder im Luftkissen, sondern gleich auf solidem Untergrund, wie Kaiser erklärt: "Ich schaufle mir weiche Sandlandungen auf, damit Fehler nicht zu krasse Konsequenzen haben."

Elite setzt ständig neue Maßstäbe

Das Niveau in der Slopestyle-Elite steigt unaufhörlich. Fahrer wie Brandon Semenuk, Brett Rheeder und derzeit vor allem Nicholi Rogatkin, setzen permanent neue Maßstäbe. Die Gefahr, dass der Slopestyle-Sport ein Schicksal ähnlich dem Snowboarden erleidet, wo alle nur mehr Triple Corks springen und die Attraktivität der Disziplin für die Zuseher dadurch leidet, sieht Kaiser im Radsport nicht gegeben. Er glaubt, es geht künftig vor allem in Richtung Konstanz und flüssige Linie und nicht mehr in nur in Richtung Tricks: "Emil Johansson ist für mich im Moment der Fahrer, der das verkörpert. Er fährt auf konstant hohem Niveau und seine Läufe sehen immer sehr flüssig aus."

Dirtjumpen ist vor allem eines: Übung, Übung, Übung. Genau das macht der 20jährige im Wald zu Hause im Tiroler Außerfern.
Peter Kaiser

Kaiser selbst fährt in der Freeride Worldtour (FMB), dem Weltcup der Dirtjumper und Slopestyler, wo er im Vorjahr als zweitbester Österreicher auf Platz 51 im Gesamtklassement landete. Er bestreitet die so genannten Gold Events, die zweithöchste Klasse. "Wobei ich nur die europäischen Events, die mir wirklich gefallen, besuche", wie er erklärt. Es gibt nur fünf, sechs Fahrer in Österreich, die auf diesem Niveau Wettkämpfe fahren. Zum Beruf will Kaiser seine Leidenschaft trotzdem nicht machen: "Ich fahre Rad, weil es mir Spaß macht. Es gibt nur eine handvoll Profibiker, die wirklich davon leben können und auch das geht nur für ein paar Jahre gut." Ihm gefällt das Nischendasein seines Sports: "Die Szene ist klein, aber dafür sehr gut vernetzt. Jeder kennt jeden."

Derzeit absolviert Kaiser seinen Zivildienst beim Alpenverein in Innsbruck, wo er nun auch trainiert. Was aber nicht ganz einfach ist. Der einzige Dirt-Spot in der Stadt, den die hiesige BMX-Szene errichtet und gepflegt hatte, musste aufgelassen werden. "Wir verhandeln derzeit mit der Stadtpolitik, um einen neuen Übungsplatz beim Baggersee zu erhalten", erzählt er von der schwierigen Suche nach Trainingsmöglichkeiten. Und die sind wichtig, um den Sport sicher betreiben zu können.

Schwere Verletzung bei harmlosem Sturz

Denn die scheinbare Leichtigkeit, mit der Kaiser sein Bike durch die Luft bewegt, trügt. Jede Bewegung muss sitzen, jede Unachtsamkeit kann böse Folgen zeitigen. So geschehen am 15. Jänner 2017. Nach dem Training in der Innsbrucker WUB-Skatehalle rollen Kaiser und seine Freunde noch gemütlich über die kleine Jumpline aus. Die Dirtjumper treffen sich im Winter zum Üben ihrer Tricks regelmäßig in der Halle. "Ich habe mich auf den White Style vorbereitet", erinnert sich der 20jährige. Dieser Event in Leogang markiert alljährlich den Start in die Slopestyle- und Dirtjump-Saison. Einige der weltbesten Fahrer treffen sich in Salzburg, um auf Schnee den ersten Wettbewerb zu fahren. Als einer der besten heimischen Trickser war Kaiser auf der Startliste.

Er sei wohl nicht mehr ganz bei der Sache gewesen, analysiert er seinen fatalen Fehler beim Training. Nach einem, für Kaisers Verhältnisse, kleinen Hüpfer rutschten ihm bei der Landung die Reifen weg. "Es ist vielleicht ein bisschen staubig gewesen", vermutet er. Beim an sich harmlosen Sturz rammte er sich den Lenker in den Oberschenkel. Die Arterie im Bein riss, sofort bildete sich ein riesiger Blutstau. Nur 26 Minuten später lag Kaiser am OP-Tisch in der Innsbrucker Klinik: "Das hat mir wahrscheinlich mein Bein gerettet."

Mentale Blockade – noch nicht am gewohnten Level

Dieses Erlebnis und die folgenden Wochen der Heilung sowie Physiotherapie haben Kaisers Blick auf seinen Sport verändert: "In den ersten Wochen nach dem Unfall habe ich bewusst auf jeden Bikecontent verzichtet. " Noch heute mache ihm eine mentale Blockade zu schaffen. Zwar trainiert er wieder, doch er ist noch nicht zurück am gewohnten Level, wie er sagt: "Ich habe mich für das Dirt Masters in Winterberg angemeldet und ich wurde als Vorläufer zum Crankworx Slopestyle in Innsbruck eingeladen. Aber ich werde beides langsam angehen. Wenn ich mich noch nicht bereit fühle, warte ich bis zum nächsten Jahr."

Dirtjump und Slopestyle sind Sportarten, die bei Fehlern schwerwiegende Folgen nach sich ziehen können. Dessen wurde sich Kaiser, der sich beim Biken bereits zwei Mal das Schlüsselbein sowie den Mittelfuß gebrochen hat, durch seinen Unfall auf schmerzhafte Weise bewusst: "Trotzdem ist der Drang, wieder Rad zu fahren, stärker als jede Angst." (Steffen Arora; 23.5.2017)