Die "Prinzessinnen" beim großen Ball.

Foto: Florian Haderer

Nicht nur in österreichischer Tracht wurde getanzt.

Foto: Florian Haderer

Der Einzug der Debütanten.

Foto: Florian Haderer

Am Anfang fliegt ein Sektglas von der Balustrade und klirrt auf den steinernen Boden des Saals – die Polonaise muss warten. Die Dame mit dem orangen Seidenschal hatte sich zu weit über die marmornen Simse in der pseudomaurischen Vijećnica mit ihren blauen und rosenen Ornamenten gebeugt – da fiel das Glas. Die Neugier der Besucher beim Österreich-Ball in Sarajevo im Alten Rathaus ist riesig. Was soll das sein? Polonaise, Damenspende, Debütanten?

Botschafter Martin Pammer, der die Veranstaltung organisiert hat, läuft im Frack zwischen all den bosnischen "Prinzessinnen" mit ihren glitzernden Krönchen zum Eingang. Ein roter Teppich unter einem Zelt führt zum Gebäude. Der Polizist draußen kann sich nicht erinnern, dass jemals für irgendeine Veranstaltung in der Stadt die gesamte und einzige Durchzugsstraße gesperrt wurde. Selbst die Tramway kommt heute nicht weiter. Seit Wochen schon ist in Sarajevo vom "Österreich-Ball" die Rede. Die Schneiderinnen waren schwer im Einsatz – denn viele ließen sich extra für den Abend ein Ballkleid anfertigen. Das kommt in Bosnien, wo die Gehälter, aber auch der Stundenlohn, extrem niedrig sind, noch immer billiger, als eines zu kaufen.

Dame mit Stoppellocken

Die Dame mit den Stoppellocken rafft den Tüll bei ihren Beinen hoch, um zum anderen Ende des Saals zu stöckeln und dort Leute zu begrüßen. Wer hat das aufregendste Kleid? Wer ist die schönste in der Stadt? Eine Dame mit rasierten und fein nachgezogenen Augenbrauen, die es schafft, zwanzig Minuten lang ihre Hände in der gleichen Position aneinanderzuhalten, ähnelt Jovanka Bros, Titos Frau. Sie beäugt die anderen Businesstische, die sich Unternehmen direkt neben der Tanzfläche "kaufen" konnten. Hier sitzen die Leute von der bosnischen Telekom, von Violeta, dem Taschentucherzeuger, die Vertreter von Porsche und so weiter.

Wer sind die Menschen, die heute hierhergekommen sind? "Hier sind nur Leute mit Geld", sagt ein Journalist, der ebenfalls aus so einer Familie kommt. "Stela" ist das Zauberwort in Bosnien-Herzegowina – ohne Beziehungen hat man hier kaum Chancen. Das Wiener Opernballorchester eröffnet den Ball – mit dem Sarajevo-Marsch ziehen die Ehrengäste ein, etwa der Bürgermeister der Stadt. Dann werden die bosnische und die österreichische Hymne gespielt. Eine Folkloregruppe tanzt einen Reihentanz, den Kolo. Wer auf ihre Füße schaut, dem wird schwindlig, so schnell geht das.

Keine Paartanz-Tradition

In Bosnien-Herzegowina gehört der Paartanz nicht zur Volkstanztradition, sondern wurde praktisch erst mit der Okkupation durch Österreich-Ungarn ins Land gebracht. In der k. und k. Zeit veranstalteten vor allem die Mitteleuropäer, die mit der neuen Verwaltung hierhergekommen waren, ihre Gartenkonzerte und Redouten. Insbesondere in Ilidža, dem Kurort vor Sarajevo, wurden Feste gefeiert. 1912 wurde der Musikpavillon im Franz-Josephs-Park eröffnet und etwa der Geburtstag des Kaisers gefeiert.

So wie auch in Wien, war der Höhepunkt der Tanzveranstaltungen die Silvesternacht. Auch in der bosnischen Hauptstadt wurden laut der "Kritischen Musikhistographie" von Markus Mantere und Vesa Kurkela Maskenbälle abgehalten und Operetten aufgeführt. Bälle jenseits dieses Österreich-Balls, der erstmals in Sarajevo stattfindet, gibt es heute aber gar keine mehr.

"Prinzessinnen" posieren

Die "Prinzessinnen" posieren einstweilen auf der Treppe, die in den ersten Stock führt. In Sarajevo gibt es keinen besseren Ort, um eine Modenschau zu veranstalten – und die Mädels wissen das. Walzer tanzen können die meisten allerdings nicht. Gott sei Dank tanzen der Botschafter und der Militärattaché. Vielen Bosniern geht es wohl mehr darum, gesehen zu werden und dazuzugehören. Nur die Mädchen von der Ballettschule aus Montenegro stehlen den Mädels auf der Treppe ein wenig die Aufmerksamkeit mit ihrem Auftritt. "Diese Kombination aus Walzer und Tango an einem Abend, das gab es noch nie hier", sagt Sejla, eine professionelle Tänzerin.

Mittlerweile sind nicht nur Torten bei der Aida serviert, die in einem der Rathauszimmer ein Caféhaus nachahmt, sondern auch das Buffet ist eröffnet. Man muss aufpassen, dass man nicht die bodenlangen Kleider zerreißt, während man sich anstellt. Die Dame mit den Stoppellocken hat ihr Tüllkleid gegen ein Pailletten-Kleid ausgetauscht. Wo versteckt sie nur ihre Garderobe? "Dein ist mein ganzes Herz" singt der Tenor derweil so inbrünstig, dass manche Sarajlijas ihre Aufmerksamkeit wieder auf das umfangreiche Programm lenken.

Brautkleidraten

Sogar "Jovanka Bros" muss lächeln, als die Tanzschüler einen Tunnel bilden und in die Hände klatschen. "Das ist barocker Punk, planmäßige Ausgelassenheit für Erwachsene, die das sonst nicht dürfen", flüstert mir ein Beobachter ins Ohr. Die Dame links von mir hat mit dem Brautkleid-Raten begonnen. Wer hat sein Hochzeitskleid wieder verwertet? "Das könnte auch eines sein und das da drüben auch", weist sie auf Damen in weißen Kleidern. "Vielleicht ist das hier ja auch eine Art Brautschau." Die Tombola ist losgegangen, die ungarische Tanzgruppe tritt auf. Die Dame mit den Stoppellocken hat nun ihr drittes Kleid angezogen – diesmal ist der Rücken frei. Um drei Uhr haben sich ein paar Prinzessinnen – ganz müde geworden – auf die Treppen gesetzt. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 22.5.2017)