Präsident Hassan Rohani: Trotz schleppender Sanktionsaufhebung honorieren die Iraner weiterhin, dass er den Atomdeal gestemmt hat.

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Zu Recht wurde die Präsidentschaftswahl im Iran als richtungsweisend für die Zukunft des Landes betrachtet. Allerdings darf der wiedergewählte Hassan Rohani nicht als liberaler und schon gar nicht als im westlichen Sinn demokratischer Politiker gelten. Warum also gab eine deutliche Mehrheit der Wähler diesem Kandidaten ihre Stimme, und warum war die Freude über seine Wiederwahl so groß, dass es überall im Land zu Freudenkundgebungen kam?

Vor allem, wenn man bedenkt, dass die iranische Wirtschaft bei weitem nicht so gut angesprungen ist wie von vielen erhofft, die Armut sich nicht verringerte, sondern eher zunahm und die Menschenrechtssituation sich nicht zum Besseren gewandelt hat.

Die Gründe hierfür liegen zunächst darin, dass die iranischen Wähler Rohani nicht dafür verantwortlich machen, dass die Lockerung der Sanktionen nur schleppend vor sich geht. Im Gegenteil, sie honorieren den von seiner Regierung ausverhandelten Abschluss des Nukleardeals mit der internationalen Gemeinschaft weiterhin. Gleichzeitig erteilten sie der vom Konkurrenten Ebrahim Raisi angekündigten härteren diplomatischen Gangart gegenüber dem Westen eine Abfuhr.

Das Wahlergebnis bestätigt auch, dass die Iraner mit klarer Mehrheit den populistischen Argumenten Raisis keinen Glauben schenkten. Dieser hatte in den letzten Wochen versucht, die soziale und Anti-Establishment-Karte zu spielen. Allerdings ist gerade er, mit seinem Hintergrund in einer der reichsten religiösen Stiftungen des Landes, als Sozialpolitiker kaum glaubwürdig.

Darüber hinaus darf der Wahlerfolg Rohanis auch als Entscheidung eines ideologischen Richtungsstreits innerhalb der iranischen politischen Eliten verstanden werden. Während jenes politische Lager, dessen Kandidat der unterlegene Raisi war, in der Islamischen Republik Iran ein permanentes revolutionär-islamisches Projekt sieht, mithilfe dessen die Iraner zu Revolutionären und radikalen Islamisten erzogen werden sollen, versucht das andere Lager, den Iran zu einem Rechtsstaat zu reformieren.

Etikettenschwindel?

Dabei soll die Revolution weitgehend überwunden werden, ohne ihre Errungenschaften – sprich das politische System – aufzugeben. Die Wahlbeteiligung – in der Regel über sechzig Prozent – wird dabei nicht ganz zu Unrecht als regelmäßiges Votum zugunsten des politischen Systems gelesen. Daher sehen Kritiker und Gegner des Regimes in den Wahlen einen Etikettenschwindel oder bestenfalls eine Abstimmung über den politischen Stil und weniger über die politischen Inhalte der jeweiligen Kandidaten.

Dem ist nicht ganz zuzustimmen. Denn der politische Stil beeinflusst das tägliche Leben der Menschen im Iran mindestens ebenso sehr wie alle Wahlversprechen und Regierungsprogramme zusammengenommen. Es ist eben ein Unterschied, ob die Moralkontrollen verschärft werden und das tägliche Leben zum Spießrutenlauf wird oder nicht.

Rohanis Bürgerrechtscharta

Kernstück des politischen Denkens Rohanis ist eine schon im letzten Wahlkampf 2013 veröffentlichte "Bürgerrechtscharta" ("manshur-e hoquq-e shahrvandan"), in der er seine Grundüberzeugungen niederlegte und eine Stärkung der Bürgerrechte sowie der Rechtsstaatlichkeit versprach.

Dagegen liefen vor allem radikale Islamisten, die sogenannten "Hezbollahis", Sturm, also jene Gruppen, die im Westen im Allgemeinen als Extremisten bezeichnet werden. Diese gewaltbereiten, aus dem Milieu des Lumpenproletariats stammenden islamistischen Extremisten wurden jahrzehntelang von Teilen des Sicherheitsapparats gefördert und sind für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich.

Ihre Daseinsberechtigung leiten sie vom Kampf gegen die USA und Israel auf globaler und gegen jede Form von kultureller Verwestlichung auf nationaler Ebene ab, wofür sie die Expräsidenten Hashemi Rafsanjani und Mohammed Khatami verantwortlich machen. Rohani, der selbst aus dem iranischen Sicherheitsapparat stammt und sich dort auf mächtige Verbündete verlassen kann, wagten sie anfangs nicht direkt anzugreifen. Vielmehr versuchten sie, seine politischen Energien durch Angriffe auf Politiker seines Kabinetts oder gegen seine Kulturpolitik zu binden. Teilweise mit Erfolg: So musste Rohani 2016 eine Europareise absagen, weil versucht wurde, seinen Vizepräsidenten Eshaq Jahangiri über das Parlament zu stürzen.

In dieselbe Kategorie gehören auch die Störaktionen gegen genehmigte Konzerte und ähnliche kulturelle Aktivitäten, mit denen Rohanis Durchsetzungswille getestet werden sollte. Das Wahlergebnis stärkt nun sein Mandat, diese Umtriebe weiter einzuschränken.

Verzerrter Wettbewerb

Schwieriger dürfte es sein, die iranische Wirtschaft zu sanieren. Abgesehen von der leidigen Sanktionsfrage sind es vor allem Fragen der Wirtschaftsreform und der Rechtssicherheit – nicht nur für ausländische Investoren, sondern auch für iranische Unternehmer. Vor allem Letztere leiden unter dem verzerrten Wettbewerb, der auf die Steuerfreiheit milliardenschwerer Wirtschaftskonglomerate der frommen Stiftungen oder der Revolutionsgarden zurückzuführen ist. Sollte Rohani hier Erfolg beschieden sein, wäre dies in der Tat ein neues Kapitel in der Wirtschaftsgeschichte Irans.

Gehen seine innenpolitischen Pläne auf, zu denen auch die laufende Provinzreform zählt, die eigene Parlamente und Budgets sowie Unterricht in Lokalsprachen vorsieht, dann würde das islamische System in der Tat durch mehr Rechtsstaatlichkeit demokratisiert.

Wenig Handlungsspielraum hat Rohani in der Außenpolitik. Objektiv betrachtet herrscht im Kampf gegen den "Islamischen Staat" zwar eine Interessenkonvergenz zwischen Teheran und dem Westen, diese reichte aber selbst unter US-Präsident Barack Obama nicht für eine Annäherung, nicht zuletzt wegen des iranischen Bündnisses mit Assad, dessen Schicksal Teheran mit seiner eigenen Position in der Levante verknüpft hat.

Seit Donald Trumps Rede in Saudi-Arabien muss mit noch höherem Druck auf Teheran gerechnet werden. Sollten die USA tatsächlich einen Regimewechsel ins Auge fassen, fände sich Rohani in einer Funktion wieder, die er schon unter Khomeini hatte: als Koordinator der Landesverteidigung zwischen Revolutionsgarden und Armee – nur diesmal eben als Präsident. (Walter Posch, 23.5.2017)