Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Kaufsucht: Männer kaufen Elektrogeräte, Frauen eher Kleidung.

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Kaufsucht ist eine extrem tabuisierte Abhängigkeit und meist eine Begleitkrankheit einer psychischen Grunderkrankung, sagte Michael Musalek, Ärztlicher Leiter des Anton Proksch Instituts. Bereits 1992 zeigte sich bei einer Studie in den USA eine starke Kaufsuchtgefährdung bei 8,1 Prozent der Allgemeinbevölkerung. Dies könne hoch gegriffen sein, meinte der Suchtexperte, doch wenn man starke Gefährdung und echte Kaufsucht zusammennehme, komme man ziemlich konsistent auf ähnliche Prozentsätze in der Bevölkerung verschiedener Länder.

"1990 – also mit der Erhebung der Situation vor dem 'Mauerfall' – zeigte eine Untersuchung in Deutschland eine Kaufsuchtgefährdung bei fünf Prozent der 'Westdeutschen' und eine von einem Prozent bei den 'Ostdeutschen'. 2005 waren es acht Prozent bei den 'Westdeutschen' und sechs Prozent bei den 'Ostdeutschen'", sagte Musalek. Es gelte also für die Kaufsucht ganz Ähnliches wie für alle andere Abhängigkeiten von Substanzen oder anderen "Kicks": "Ein Suchtmittel muss hoch attraktiv sein, sonst wird es kein Suchtmittel. Die Wirkung muss schnell abklingen, um eine Erneuerung des Reizes notwendig zu machen."

Konsum als Maxime

Bei der Kaufsucht sind genau diese Charakteristika fast perfekt gegeben. "Die Verfügbarkeit von Konsumgütern hat in den ehemaligen ostdeutschen Bundesländern stark zugenommen. Das begründet auch die stärkere Steigerung der Kaufsuchtgefährdung in diesen deutschen Bundesländern nach 1989. Je besser verfügbar ein Suchtmittel oder eine Verhaltensweise ist, desto mehr Abhängige werden wir sehen", sagte Musalek. Das gelte auch für die aktuellen Diskussionen rund um die Freigabe des Gebrauchs von Cannabis. Nicht-Kriminalisierung von Cannabis-Konsumenten (Grenzmengenregelungen) und restriktive Maßnahmen sollten kombiniert werden.

In der Schweiz zeigte eine Studie bei fünf Prozent der Befragten eine stark Kaufsucht-gefährdete Situation. In Österreich lag dieser Anteil laut einer Gallup Institut-Erhebung im Auftrag der Arbeiterkammer bei 5,6 Prozent (2004) und 7,7 Prozent (2005).

"Die Kaufsucht ist eine besonders tabuisierte Form der Abhängigkeit. 'Ich kann nicht einmal mehr mein Kaufverhalten steuern' wirft sich der Betroffene vor. Psychische Krankheiten werden an sich schon tabuisiert, noch mehr die Suchtkrankheit. Und dann auch noch 'Kaufsucht'", sagte der Experte. Umgekehrt gebe es – genauso wie bei der Online-Sucht – in der Gesellschaft keine Möglichkeit zur klassischen "Abstinenz". "Ohne Kaufen kann man kaum überleben. Ohne Internet funktioniert kaum mehr ein Sozialleben", sagte der Fachmann.

Männer und Frauen

Die Meinung, dass starke Kaufsuchtgefährdung primär eine Angelegenheit der Frauen sei, ist falsch. Die Arbeiterkammer-Studie aus dem Jahr 2005 ergab bei den Frauen in der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen einen Anteil von 11,9 Prozent, bei den Männern einen Anteil von 6,1 Prozent. Bei den 25- bis 44-Jährigen waren es 11,8 Prozent (Frauen) bzw. 6,9 Prozent unter den Männern.

"Es geht nicht darum, Güter zu haben. Es geht um den Vorgang des Kaufens", sagte Musalek Der Unterschied zwischen Männern und Frauen betreffe in dieser Hinsicht am ehesten die Gattung der gekauften Güter: "Männer sieht man halt eher in Elektroläden. (...) Entscheidend ist der Kontrollverlust." Alle Kriterien der Entwicklung von normalen Gebrauch einer Substanz oder eines "normalen" Verhaltens bis hin zur Suchtkrankheit gelten demnach auch für die Kaufsucht samt Kontrollverlust im betroffenen Konsumverhalten und des Verlierens aller anderen Interessen.

Es gibt allerdings durchaus geschlechtsspezifische Verhaltensweisen beim Kaufverhalten: In einer US-Studie wurde männlichen und weiblichen Probanden aufgetragen, in einen bestimmten Bekleidungssupermarkt zu gehen und dort Unterhosen zu kaufen. Die Männer steuerten in dem Einkaufszentrum ganz gezielt dieses Großgeschäft an. Die Frauen flanierten vor dem Kauf bei dieser Marke auch gleich noch zwei andere Großmärkte in unmittelbarer Umgebung.

Technik oder Fetzen

Alle von Kaufsucht Betroffenen sprächen von einem massiven Drang zu diesem Verhalten. Spezifische sei auch die Ausrichtung des Einzelnen auf spezielle Güterklassen. "Ein Mann hat beispielsweise bereits zwei Stereoanlagen und kauft noch drei dazu. (...) Oft werden die Güter nicht einmal mehr ausgepackt. Es gibt häufig versuchte Rückgaben. Oft werden Waren massenhaft im Ausverkauf erstanden", sagte der Experte. Zum Schein würden die Güter dann auch oft verschenkt, was eine Rechtfertigung bedeuten könne ("Nur für die Anderen gekauft").

Bei echter Kaufsucht ist die Therapie jedenfalls schwierig, weil eine Abstinenz eben kaum erreicht werden kann. Doch das Konzept der Abhängigkeit als primäre psychiatrische Erkrankung wird laut Musalek im Grunde immer zweifelhafter: "Die Kaufsucht kommt praktisch nie alleine vor. Die Suchterkrankung ist meist eine Begleiterkrankung von anderen psychischen Erkrankungen," sagt er und meint Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen und Persönlichkeitsstörungen. (APA/red, 26.5.2017)