Wie jede Lesereise bringt auch die diesjährige reichhaltiges Material für folgende Lesereiseanlässe, sprich weitere Bücher. Wenn man morgens oder auch abends nicht erschöpfungsbedingt zu ferngesteuert ist, um die Satellitenschüsseln an den Kopfseiten in Stellung zu bringen, dann tun sich Welten auf. Tragische, lustige, schöne.

Aus unerfindlichen Gründen finden die schrägsten immer zwischen Wien und Salzburg statt. Zwischen Salzburg und Wien öffnet sich verlässlich eine Art Bermudadreieck, in dem die Grenzen der sozial üblichen Interaktionen verschwimmen.

Ein paar Stunden im Restaurantabteil und man ist Myriaden an Lebenserfahrungen reicher. Vom abgefüllten Alkoholiker, der ungestört Kellnerinnen und Frauen im Abteil angeht und als Tschuschinnen und Schlampen beschimpft, während drei leise Herren ihre klugen Köpfe in großen Zeitungen verstecken. Und man zum Handeln gezwungen ist, wenn man sich selbst nicht als Weichei definieren möchte.

Bis hin zu einem Dialog, der absolute Filmreife erwies, und den ich bis jetzt als das literarischste Erlebnis einstufe.

Handelnde Personen: ein alter eleganter Herr, ganz in Nobelbeige. Längeres gepflegtes Haar. Sehr gesprächsbereit, auch gegen alle Widerstände. Und so geschickt, auf der dreistündigen Reise mit größter Leichtigkeit verschiedene Diskussionspartner zu finden und unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Themen auch die Verschlossensten von ihnen bei der Stange zu halten. Ihm gegenüber: ein beeindruckend auftrainierter Muskelprotz. All-over tätowiert. Martialische Aufmachung und Äußeres folgen dem Drehbuch eines asiatischen Actionfilms. Nackte Oberarme. Sehr gebirgig. Schreibt hochkonzentriert in einen Block.

Alter Herr sieht ihm hochkonzentriert zu. "Ist das eine exotische Schrift?" Kurze Pause. "Nein, ich hab nur so eine Klaue." Längere Pause. "Und was philosophieren Sie da?" Ganz lange Pause. Muskelprotz starrt auf sein Blatt Papier. "Gedichte." (Julya Rabinowich, 27.5.2017)