Wien – Musik sei "tönend bewegte Form", lautet das wohl bekannteste Diktum des Kritikerpapstes Eduard Hanslick. Was sich innerhalb dieser Formen bewegt, ist bekanntlich vielschichtig – und es bleibt eine Herausforderung der Interpretation, zwischen all diesen Elementen von der Linie über die Harmonik bis zur Architektur zu vermitteln, zumal bei großen symphonischen Werken.

Das Gewandhausorchester Leipzig ist da ein Instrument, das buchstäblich alle Stückln spielt: Es verfügt über einen makellos ausgeglichenen, samtig homogenen Klang, über Beweglichkeit und strahlende Kraftreserven. Selbstredend waren all diese Vorzüge auch im Musikverein präsent, als der künftige Chefdirigent des Orchesters, Andrís Nelsons, Schuberts 7. Symphonie ("Unvollendete") und Bruckners 4. Symphonie ("Romantische") zelebrierte. Nelsons setzte deutlich am Klanglichen an, manövrierte sich durch die beiden Lieblingsstücke des Repertoires von Farbnuance zu Farbnuance.

Zauberhaft, wie er den ersten Satz Schuberts quasi aus dem Nichts erstehen ließ, bei der Wiederholung der Exposition noch mehr Zurücknahme zeigte. Ausgewogen und transparent vermittelte er Klangabstufungen über große Zusammenhänge hinweg. Das galt ebenso für Bruckner, wo Nelsons wohl zeigen wollte, dass dessen Vierte mit Schuberts Siebter das initiale Quartmotiv verbindet – jedenfalls war dieser Eindruck stark und ohrenfällig. Und auch dieses großformative Werk bedachte der Dirigent mit genauer Aufmerksamkeit für Farbwirkungen, gerade auch für die Beziehungen zwischen den Sätzen.

Was bei all diesem Zauber jedoch ein wenig fehlte, war Klarheit und Durcharbeitung der Strukturen: der Verwandschaften zwischen den so klangschön gespielten Melodien, der polyphonen Beziehungen und auch der inneren harmonischen Spannungsverhältnisse. So blieben beide Werke eher wie eine herrlich schillernde, luxuriös ausgestattete und blendend arrangierte Farbpalette, als wie ein fertiges, stimmiges Bild. (Daniel Ender, 26.5.2017)