Am Sonntag feiert "Mondparsifal Alpha 1-8" Uraufführung. Ein Filetstück dieser Festwochen. Künstler Jonathan Meese und Komponist Bernhard Lang haben Richard Wagners Oper völlig neu aufgestellt. Zwei Interviews

STANDARD: Ihr Verhältnis zu Musik generell und zu Wagner speziell?

Meese: Für Meese ist Musik der Tonfall der Natur. Alle Geräusche des Lebendigsten sind Musik. Meese liebt Musik, die nach vorne treibt. Wagner ist für Meese reinste Zukunft. Meese hört die Musik und schmilzt dahin.

STANDARD: Wie bei Wagner spielen auch in Ihrer Arbeit Übergestalten eine Rolle: Bösewichte und Helden aus Popkultur, Historie, Mythen.

Meese: Meese filtert die Radikalsten hervor. Meeses Helden sind keine Politiker!

STANDARD: Der Held nun ist Parsifal, da gibt es Parallelen zu Ihrer Biografie: das Aufwachsen ohne Vater, das Außenseitertum, der Beschluss, Ritter bzw. Künstler zu werden, die beschützende Mutter – Ihr Verhältnis zu ihr ist dank vieler Arbeiten legendär. Könnte es eine passendere Oper für Sie geben?

Meese: Der Parsifal ist von Wagner auf Meese zugeschnitten worden. Der Parsifal ist die "Meesegeschichte", Wagner erzählt im Parsifal die radikalste Kunstsoldatenrittergeschichte. Herzeleide beschützt ihren Parsifal ohne Falsch, ist Urmutter. Meeses Mutter ist Industrie der Natur, ordnet jedes Chaos, ist Schutz, garantiert Kunst, ist unwählbarste Macht.

STANDARD: Im "Parsifal" und Ihrer "Diktatur der Kunst" geht es um Erlösung. Ihre Deutung des Stoffes?

Meese: Parsifal ist der Urkünstler, vertraut nur der Kunst, ist instinktiv, nicht kreativ. Mondparsifal ist unabdingbarste Liebe zur Kampfkraft "K.U.N.S.T."! Parsifal ist der Naivling, Naseweis, Narr, Kunstextremist, Kunstfanatiker. Parsifal kommt aus der Gegenwelt und spielt alle Ideolog(i)en weg. Mondparsifal enttempelt, entmitläufert, entpolitisiert, entreligiösiert und entesoterikt Alle(s). Dieses Spielkind der Kunst befreit von allen Ideolog(i)en, sortiert Alles aus, was nicht Kunst ist. Mondparsifal ist der Totalstentmachter von "Nicht-Kunst", ist, wie Meese, radikalster Realitätsverweigerer: Kunst ist nicht Realpolitik.

STANDARD: Bühnenbilder haben Sie schon davor gestaltet, Bühne und Kostüme entwerfen Sie auch hier selbst. Dabei verwenden Sie gerne starke Zeichen wie Hakenkreuze ... Was erwartet das Wiener Publikum?

Meese: Die Bühne des Mondparsifals ist ein Raumschiff der Kunst, eine Ideolog(i)enzertrümmerungsmaschine. Im Bühnenbild werden alle Zeichen entkontaminiert und verspielt.

STANDARD: Was hat Sie nun am Regieführen gereizt? Ist es die Erweiterung Ihrer Performances? Bedeutet Ihnen das Gesamtkunstwerk, dem Wagner anhing, dabei etwas?

Meese: Das Gesamtkunstwerk ist die Regierungsform von Morgen! Richard Wagner wollte durch das Gesamtkunstwerk alle Religionen und Politik ersetzen! Das Regieführen ist der logischste, nächste, evolutionärste und klarste Schritt, basierend auf den Performances und Aktionen. Meese ist da wie Mr. Spock und findet alles totalst faszinierendst. Meese lässt Alles laufen und fordert von Allen den nächsten Evolutionsschritt ein. "Regieführen" beweist, dass Führung ohne Politik und ohne Religion nicht nur möglich, sondern auch geilstens ist.

STANDARD: Ihre Bilder entstehen wahnsinnig schnell. Im Opernapparat gibt es doch Widerstände, die man allein im Atelier nicht hat ...

Meese: Im Opernapparat ist es wie bei Allem: So wie ich in den Wald hineinrufe, schallt es heraus. Der evolutionäre Opernapparat erlaubt letztlich Alle(s), es gibt nur technische Grenzen, Alles andere ist Totalstfreiheit "Kunst". Meese schenkt allen Beteiligten das totalste Vertrauen. Meese arbeitet, dient und spielt ohne Zynismus. Das merken Alle und dann geht's ab. Meese garantiert Kunst, ansonsten ist er Frischling, Neuling und Überraschungsgast, liebt es, Schritt für Schritt im Koordinatensystem Kunst voranzumarschieren.

STANDARD: Stießen Sie nirgends an?

Meese: Wer sich der Kunst in den Weg stellt, schleudert sich selbst in die Vergangenheit. Beim Mondparsifal gilt das Erzrichardwagnergesetz: Kinder, schafft Neues. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Kunst ist der Sieg. Meese ist der Zusammenführer aller Gewerke und Waffen ... Der Mondparsifal ist wie ein Schwarzes Loch! Meese nimmt alles und wirft es in das Kunstuniversum, Kunst überlebt und kommt als Waffe der Zukunft zurück. Wir alle riskieren Alles, dann läuft's. Meese eröffnet radikalste Spielräume der Kunst. Kunst ist der angstfreie Raum! Meese sagt jeder ideologieversauten Angstmacherei den Kampf an. Wer im Opernapparat "Angst" generiert, wie es gerade in Bayreuth passiert, wird untergehen, fertig!

STANDARD: Ihr "Parsifal" in Bayreuth wurde 2014 abgeblasen ...

Meese: In Bayreuth wird momentan ausschließlich auf Angst gesetzt, Meese hat sich der "Angst" nie unterworfen und kann auch nicht, wie in Bayreuth momentan verlangt, Wagner verraten! Wagner ist kein durchdemokratisiertes Unterhaltungsprogramm.

STANDARD: Wenn Sie auftreten, springen Sie, johlen. Sie sind 47, wird die Rolle nicht anstrengend?

Meese: In der Kunst muss alles gefordert werden. Der Künstler muss den Bogen überspannen und liebevollst übers Ziel hinauszielen und schießen. Kunst ist immer Nervprogramm und das Anzweifeln des Althergebrachten, keinerlei Bestätigung des Vorherrschenden. Kunst ist keinerlei Kulturbewahrungsfetisch. Kunst entkultiviert Alle(s). Künstler dürfen sich niemals durchdressieren, durchkultivieren oder durchpolitreligiösieren lassen. Meese wird älter, aber auch evolutionspräziser.

STANDARD: Wie war die Zusammenarbeit mit Bernhard Lang?

Meese: Bernhard Lang ist radikalster Kunstliebendster, hat jede Freiheit gewährt und Weltenraummusik geschaffen. Bernhard ist für Meese Evolutionskomponist, Evolutionsschrittmacher, ist Zukunftskomponist und wiederholt immer das Notwendigste, das ist Kunst! Bernhard hat eine unwählbarste Liebestotalsterklärung an Richard Wagner komponiert.

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STANDARD: Wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen?

Lang: Ich wurde angefragt, ob ich diese Überschreibung unternehmen wolle, und habe gesagt, ich möchte mich erst mit Jonathan treffen. Dabei sind wir draufgekommen, dass uns viele Sachen simultan am Herzen liegen.

STANDARD: Wie kann man sich den Entwicklungsprozess vorstellen?

Lang: Wir haben unabhängig voneinander gearbeitet, ich den Text geschrieben, er Bühne und Konzept gemacht. Dann haben wir uns getroffen und alles ging wunderbar zusammen. Wir haben nachträglich viele Synergien entdeckt.

STANDARD: Gab es Abmachungen?

Lang: Es gab Regeln: Die Überschreibung dauert so lange wie das Original, der Wagner-Text ist der Wagner-Text, die Wagner-Personen sind die Wagner-Personen. Vom Materialbegriff her! Ich habe das mit Veränderungen nachgezeichnet, die eher subkutan sind.

STANDARD: Wo setzt Ihre Musik an?

Lang: Ich habe eine neue Form von Harmonik versucht. Bis auf ein paar Zwischenspiele hört man die ganze Zeit Wagner! Aber ich habe die Differenztöne und Summationstöne herausgerechnet. Was im Original als leise Spektraltöne mitschwingt, habe ich in den Vordergrund gerückt und den Originalsatz der Instrumentation in den Hintergrund. Mondparsifal ist eine neue Form des Musiktheaters, insofern es Autorenschaft diskutiert. Wir zeigen ein neues Stück, das über ein altes Stück nachdenkt. Und ich habe geloopt.

STANDARD: Warum?

Lang: Loops sind ein Mittel für Trancezustände aber auch für Dekonstruktion – um pathetische Gesten zu zerlegen. Wenn etwas zum dritten Mal kommt, fängt man an, es zu hinterfragen.

STANDARD: Das klingt mehr nach Herausforderung denn Schwelgen?

Lang: Aber es ist eine gute Reibungsfläche. Das ist meine Aufgabe. Sonst bleibt man bei der Affirmationskultur. Die Kunst ist bestes Korrektiv, die beste Therapie. (Michael Wurmitzer, 3.6.2017)

JONATHAN MEESE (47) ist Maler, Bildhauer, Performer. Geboren wurde er in Tokio, er übersiedelte aber als Kind mit seiner Mutter (zurück) nach Deutschland. Er lebt und arbeitet in Berlin. Die hier wiedergegebenen Antworten sind stark gekürzt und zum Teil collagiert. Die 15 handgeschriebenen Seiten, auf denen Meese die Interviewfragen des STANDARD beantwortete, finden Sie unten.

BERNHARD LANG (60) ist einer der versiertesten heimischen Komponisten. Er beschäftigt sich mit unterschiedlichsten Genres, auch mit elektronischer Musik.

Zum Weiterlesen

Die Galerie Krinzinger zeigt aktuell Arbeiten Meeses, die im Rahmen seiner Beschäftigung mit Wagner und dem "Parsifal" entstanden sind, eine Besprechung dazu finden Sie hier: Jonathan Meese: Mächtig herumgespielt

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Wiener Festwochen

Bernhard Lang (li.) und Jonathan Meese bei den Proben zum "Mondparsifal".

Foto: Jan Bauer/Courtesy by Jonathan Meese, Bernhard Lang

Daniel Gloger singt die Titelrolle des Parsifal.

Foto: Jan Bauer

Herr Meese habe einen Interviewstopp eingelegt, erklärte die Pressestelle der Wiener Festwochen auf eine diesbezügliche Anfrage des STANDARD. Wenig verwunderlich, wenn man das Wien-Programm des Künstlers in den letzten Wochen verfolgte. Aber er beantworte Fragen schriftlich. Angebot angenommen. 15 handgeschriebene Seiten kamen retour. Bei einem Treffen wenig später erklärte Meese, er habe die Antworten an einem Morgen und in einem Fluss heruntergekritzelt, ohne später noch einmal drüberzulesen.

Foto: Michael Wurmitzer/Jonathan Meese

1. Ihr Verhältnis zu Musik generell?

2. Und zu Richard Wagner im Speziellen?

Foto: Jonathan Meese

3. Auch in Ihren Bildern, Plastiken und Performances spielen oft Übergestalten eine Rolle: Ritter, Bösewichte, Helden aus der Populärkultur, Geschichte und Mythen?

Foto: Jonathan Meese

4. Worauf liegt der Fokus der Inszenierung?

Foto: Jonathan Meese

5. Es geht beim "Parsifal" um Erlösung. Wie ist Ihre Deutung des Stoffes?

Foto: Jonathan Meese

6. Bühnenbilder haben Sie schon davor gemacht, Bühne und Kostüme entwerfen Sie auch hier selbst. Sie verwenden gerne starke Zeichen wie Hakenkreuze. Worauf kann sich das Wiener Publikum einstellen?

Foto: Jonathan Meese

7. Was hat Sie – schon bei Ihrer Bayreuth-Zusage – am Regieführen gereizt?

Foto: Jonathan Meese

8. Kann man sich das Regieführen als Erweiterung Ihrer Performances vorstellen?

9. Bedeutet Ihnen der Gesamtkunstwerk-Gedanke, dem Wagner gefolgt ist, etwas?

Foto: Jonathan Meese
Foto: Jonathan Meese

10. "Machen, machen, machen", sagen sie in einer Filmdoku. Ihre Bilder entstehen mitunter wahnsinnig schnell. Bremst so ein Opernapparat nicht?

Foto: Jonathan Meese

11. Sänger, Orchester, Dramaturgie, gesetzliche Auflagen, technische Grenzen – am Theater gibt es Widerstände im System, die man allein im Atelier arbeitend nicht hat. War das nicht manchmal frustrierend?

Foto: Jonathan Meese
Foto: Jonathan Meese
Foto: Jonathan Meese

12. Ihr öffentliches Auftreten wirkt unheimlich fordernd. Auch Sie werden älter. Wird diese Rolle nicht manchmal anstrengend?

13. Wie war die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Bernhard Lang?

Foto: Jonathan Meese

14. Parsifal lebt allein mit seiner Mutter im Wald, bis er wie vom Donner gerührt nach Anschauung eines solchen beschließt, Ritter zu werden. Da gibt es Parallelen zu Ihrer Biografie: das Aufwachsen ohne Vater, das Außenseitertum, der Beschluss, Ritter bzw. Künstler zu werden, die beschützende Mutter. Das Verhältnis zu ihr ist durch viele Ihrer Arbeiten selbst legendär. Dann das Erlösungsthema. Könnte es eine passendere Oper für Sie geben?

Foto: Jonathan Meese
Foto: Jonathan Meese