"Der Erfolg einer IVF-Behandlung hat nichts mit Leistung zu tun", sagt die Psychologin Jutta Fiegl.

Foto: Jutta Fiegl

STANDARD: Sie haben viele Jahre als Psychotherapeutin am Institut für Reproduktionsmedizin und Psychosomatik der Sterilität gearbeitet. Wie wirkt sich psychischer Druck auf den Kinderwunsch aus?

Fiegl: Manche Menschen haben ein starkes Kontrollbedürfnis und wollen alles planen. Wenn es nicht sofort klappt, werden sie ganz nervös. Für Paare ist es oft schwer zu akzeptieren, dass es nicht funktioniert, schwanger zu werden. Dann passiert Folgendes: Das Sexualleben wird ausschließlich auf die fruchtbaren Tage verlegt. Geschlechtsverkehr nach Plan, jahrelang. Aber das ist ein Wahnsinn, denn da vergeht einem die ganze Lust. Und es verursacht Stress. Man weiß aus Kriegstagen, dass bei Frauen dadurch die Menstruation aufhören kann. Es ist eine Anpassungsreaktion des Körpers. Dieses Wissen hilft Paaren im Umgang mit dem Problem.

STANDARD: Sind unerfüllter Kinderwunsch und Unfruchtbarkeit nach wie vor Tabuthemen?

Fiegl: Ja, weil es mit Leistung und Potenz gekoppelt wird – gerade bei Männern. Um sich vor permanentem Nachfragen zu schützen, geben manche Paare vor, dass sie noch keine Kinder haben wollen. Auch bei einer In-vitro-Fertilisation, also einer IVF-Behandlung, muss man sich entscheiden, wem man was erzählt.

STANDARD: Welche Ursachen verhindern eine Schwangerschaft?

Fiegl: Bei Frauen sind es verschlossene Eileiter, Störungen der Eizellreifung – und hormonelle Gründe, die sehr oft auch psychisch bedingt sind. Bei Männern kann eine Ursache etwa eine irreversible Störung der Samenproduktion sein, die Folge einer Mumps-Erkrankung in der Kindheit oder eines Hodenhochstands bei der Geburt. Verminderte oder schwankende Samenqualität ist ebenfalls ein Grund, der häufig auch psychisch bedingt ist. Sehr oft ist es der Druck in der Arbeit.

STANDARD: Über welche physischen und psychischen Auswirkungen sollten Frauen Bescheid wissen, bevor sie sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden?

Fiegl: Frauen sollten wissen, dass die Behandlung an sich Druck macht. Körpervorgänge werden sichtbar gemacht, die sonst unbemerkt ablaufen. Ich habe beobachtet, wie Dialoge im Wartezimmer ablaufen. Man fragt einander nach der Anzahl der Eibläschen, wie sie wachsen und ob sie sich entwickeln. Das ist wie eine Art Wettkampf, so als wäre es eine Leistung, auf die man stolz sein könnte. Darüber muss man vorher reden: Der Erfolg einer IVF-Behandlung hat nichts mit Leistung zu tun. Jeder Körper reagiert anders. Es ist wichtig, gerade in den kritischen Phasen – etwa beim Einsetzen des Embryos – sein Leben möglichst normal weiterzuleben.

STANDARD: Warum ist eine IVF-Behandlung auch eine Belastungsprobe für die Beziehung?

Fiegl: Weil Druck da ist, denn auch der Partner beobachtet, wie die Behandlung wirkt. Alles wird in den Schoß der Frau gelegt, im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Rat ist, die Belastung nicht zu tabuisieren, sondern darüber zu reden.

STANDARD: Welche Fragen müssen aus therapeutischer Sicht geklärt werden, wenn ein Paar eine IVF-Behandlung wünscht?

Fiegl: Die wichtigsten Fragen aus therapeutischer Sicht sind: Was passiert, wenn es nicht klappt? Und was, wenn es klappt? Hat das Leben noch Sinn, oder wird die Beziehung enden, wenn es kein Kind gibt? Welche Alternativen gibt es? Kann man sich vorstellen, auch kinderlos zu leben? Ist Adoption eine Option?

STANDARD: Laut dem IVF-Jahresbericht 2015 liegt die Baby-Take-Home-Rate derzeit bei 30 Prozent. IVF ist also kein sicherer Weg zum Wunschkind?

Fiegl: Die Errungenschaften der Medizin verleiten zu großen Hoffnungen – selten wird von den Grenzen gesprochen. Es ist wichtig, mit Paaren über die Grenzen der Machbarkeit zu sprechen. Die Reproduktionsmedizin stellt nur die Grundlagen zur Verfügung.

Schwanger oder nicht? Um ein Kind zu bekommen, nehmen immer mehr Paare künstliche Befruchtung in Anspruch.
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STANDARD: Wenn das Thema dominierend im Leben wird, hört man oft den Ausdruck "überwertiger Kinderwunsch". Gibt es das?

Fiegl: Von einem "überwertigen Kinderwunsch" zu sprechen, weil man die Reproduktionsmedizin zu Hilfe nehmen will, finde ich falsch. Einen Kinderwunsch zu haben, ist legitim. Die entscheidende Frage ist immer, wie groß der Druck auf ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch ist.

STANDARD: Finden Sie es in Ordnung, dass alleinstehende Frauen kein Recht auf IVF haben?

Fiegl: Das finde ich Unrecht. Auch eine alleinstehende Frau ist eine Bezugsperson und hat ein Umfeld, in dem ein Kind aufwachsen kann.

STANDARD: Von Hormonbehandlung über IVF bis zur genetischen Präimplantationsdiagnostik, Leihmutterschaft, Eizell- oder Spermaspenden – wie weit soll Reproduktionsmedizin gehen?

Fiegl: Ich denke, es muss Reproduktionsmedizinerinnen und Reproduktionsmedizinern gestattet sein, ihre persönlichen Grenze zu wahren und nicht alles machen zu müssen, was möglich ist. Was ein Kind wirklich braucht, sind verlässliche Bezugspersonen. Das ist unabhängig von Geschlecht oder Beziehungsform. Da spielt es keine Rolle, ob das eine gleichgeschlechtliche Beziehung ist oder nicht.

STANDARD: Was sind kritische Punkte?

Fiegl: Die Frage der Zumutbarkeit – und da sollte man auch das zukünftige Kind miteinbeziehen. Eine Vierlingsmutter mit 65 Jahren, wie es sie vor zwei Jahren in Deutschland gab, finde ich unverantwortlich. Diese Mehrlingsschwangerschaften bergen ein großes Risiko für die Kinder. Auch beim Thema Leihmutterschaft ist wenig erforscht, wie es der Leihmutter geht, oder ob man bei dem Kind spezifische Erfahrungen merkt. Wenig Forschung gibt es auch zu den Auswirkungen der Präimplantationsdiagnostik (PID), wenn man etwa bestimmen kann, dass nur männliche Embryonen eingesetzt werden oder umgekehrt.

STANDARD: Reproduktionsmedizinisches wird längst nicht mehr auf nationaler Ebene geregelt. Reicht das österreichische Gesetz weit genug?

Fiegl: Viele Paare sind in den letzten Jahren ins umliegende Ausland ausgewichen. Insofern finde ich gut, was jetzt in Österreich erlaubt ist. Es bleiben ethische Fragen. Hat man ein Recht auf ein Kind? Ich denke, man hat ein Recht auf eine Behandlung, es stört mich aber, wenn man in der Reproduktionsmedizin von Erfolg und Erfolgsparametern spricht.

STANDARD: Was halten Sie von Eizellspenden?

Fiegl: Da geht es um den Umgang mit Eizellen. Das Fortpflanzungsmedizingesetz sagt, dass man nicht mehr als drei befruchtete Eizellen einsetzen darf. In einigen Ländern ist es aber erlaubt, sich mehrere Eizellen einsetzen zu lassen. Was, wenn man mit Drillingen schwanger ist? Theoretisch stellt sich dann die Frage eines Fetozids. Auch eine Folgeerscheinung, über die man sich im Vorfeld informieren sollte. (Christine Tragler, 1.6.2017)