"Ich will das Establishment im Staub liegen sehen!" – Drei Schauspieler leiten in den Diskussionsabend "Agora" im Schauspielhaus Wien ein. Dort wird der Demokratie auf den Zahn gefühlt: "Selbst Establishment!".

Foto: Luca Fuchs

Wien – In der Demokratie entscheiden alle, Wölfe wie Schafe, was es abends zu essen gibt, und es gibt dann immer Schaf. Gewitzt leiten drei Schauspieler (Simon Bauer, Steffen Link und Vassilissa Reznikoff) den vom Autor und Journalisten Robert Misik gemeinsam mit Regisseur Milo Rau konzipierten Diskussionsabend Agora im Schauspielhaus ein. Was ist die Demokratie wert? Fühlen wir uns von der Politik gut genug vertreten? Und ist das Volk wirklich so dumm wie 100 Hektar Mischwald?

Es ging bei der Auftaktveranstaltung am Montag recht gesittet zur Sache. Wer etwas sagen wollte, stellte sich in einem seitlich aufgemalten Kreidekreis in Warteposition, dazwischen moderierten Misik wie der als Coach geladene Psychiater und Psychoanalytiker August Ruhs die Statements von allen Seiten. Expolitiker und PR-Berater Stefan Petzner ist als Spindoctor ebenfalls an allen Abenden zugegen.

Zum Einstieg zeichnete der deutsche Historiker Philipp Blom einen beunruhigend ausscherenden Vektor auf den Bühnenboden, an dem der CO2-Anstieg "der letzten 400.000 Jahre" ablesbar wurde; dieser soll um 1950 horrend zugenommen haben. Blom brachte diesen Raubbau an den irdischen Ressourcen mit der Entwicklung der Demokratie in Verbindung, die sich zur Befriedung und Wohlstandssicherung in der Nachkriegszeit entwickelt habe. Eine Rednerin erhob Einspruch, dass es in der Türkei bereits 1923 (Kemal Atatürk) demokratische Errungenschaften gab.

Zu Gast: Chantal Mouffe

An drei Seiten der Bühne sitzt das Publikum, welches aufgerufen ist, in die Mitte zu treten und an einem Stehpult das Wort zu ergreifen. Auf dem Podium nehmen die Gäste Platz, am Montag Chantal Mouffe (belgische Politikwissenschafterin), Möstafa Noori (nach Österreich geflüchteter Afghane) und Claus Pándi (Journalist). An den folgenden sechs Terminen werden etwa Ingrid Felipe (Bundessprecherin der Grünen), Andreas Rabl (Bürgermeister Wels, FPÖ), AMS-Chef Johannes Kopf und die Journalistin Livia Klingl erwartet.

Viele Frauen meldeten sich zu Wort, um u. a. die Chimären der Demokratie anzuprangern ("Ist doch nur eine Show! In Wahrheit leben wir unter einer Herrschaft der Reichen!") oder das Fehlen einer "Ermutigungskultur" zu beklagen. Ein pessimistischer Sprecher prophezeite, dass unsere Demokratie spätestens dann einstürzen wird, wenn – mit Verweis auf Bloms Klimavektor – "Bangladesch unter Wasser steht" und Millionen nach Europa fliehen.

Ein klares Statement legte der 20-jährige Möstafa Noori ab: Die Schlagzeilen der Hetzpresse lenkten seiner Ansicht nach die Meinungen im Land und bestimmten so den Alltag von Flüchtlingen.

Als Meinungsaustausch bei gutem Benehmen und Konzentration aufs Wesentliche war diese Agora mehr als ein anregender analoger Facebook-Ersatz. (Margarete Affenzeller, 30.5.2017)