Kein Genrebild aus dem Wien-Tourismus-Katalog, sondern der Gastgarten im Durchhaus des Hauses Neustiftgasse 16.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Paniertes, zuvor in Senf mariniertes Altwiener Backfleisch bekommt eine ordentliche Portion Kren drübergerissen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Restaurant im Durchhaus des Hauses Neustiftgasse 16 galt seit der Eröffnung als "Kristians Monastiri" vor 17 Jahren als gut geführte Adresse, an der kreative Köche (etwa Mario Bernatovic) im Einsatz waren. Gruß aus der Küche, Aufstrichvariation zum Körberl, Menü samt Weinbegleitung und andere Versatzstücke dessen, was man in Österreich als klassische Haubengastronomie zu verstehen gelernt hat, wurden hier auf verlässlichem Niveau dargebracht.

Die austro-mediterrane Küchenlinie durfte als Abbildung dessen gelten, was der heimische Gast sich von einem noblen Mahl erwartet: Salade niçoise mit Tunfischsteak ebenso wie Trüffelrisotto, aber auch Kürbisschaumsuppe und rosa gebratener Kalbsrücken mit Apfel-Sellerie-Püree. "Herausragend", "fein", "gekonnt" und "überragend" sind dementsprechend die Adjektive, die in der aktuellen Gault-Millau-Rezension zum Einsatz kommen.

Umsatteln auf Wirtshaus

Dennoch hat Betreiber Christian Gansterer die Hütte kurz nach Erscheinen des 2017er-Guides zugedreht. "Das Konzept hat sich überlebt", sagt er nüchtern, der Aufwand sei in keiner Relation zum Gästeaufkommen gestanden. Oder, anders: Der Gourmetzinnober zog nicht mehr, das dekorative Aufmascherln fad-feiner Filets scheint als Konzept gutbürgerlicher Restauration auch in Österreich ausgedient zu haben – wenn nicht für die Guides, dann für die Gäste. Das könnte noch einigen der über 600 (!) heimischen Haubenwirte zu schaffen machen, die im Vertrauen auf stets tadellose Noten darauf vergaßen, ihr Konzept zu überdenken und sich nach neuem, jüngerem Publikum umzusehen.

Gansterer jedenfalls beschloss, auf Wiener Wirtshaus umzusatteln, was angesichts des prächtigen Durchhaus-Gastgartens nicht die schlechteste Idee ist. Ob es klug war, sich in der Speisekarte an aggressiv alten Schmähs wie "Breslgeier" für Backhendl, "Fleckerlteppich" für Krautfleckerl oder "Oaschpeiferl" für scharfe Pfefferoni zu vergehen, sei dahingestellt. Aber egal, es gibt schließlich vier Biere vom Fass, allen voran das unpasteurisierte südböhmische Bernard.

Und der Koch ist auch nicht schlecht. Marinierter Kalbskopf und Rindfleisch, ein mächtiger Teller dünn aufgeschnittenes Fleisch, das mit Sauergemüse wie Perlzwiebeln, Gurkerlscheiben und Paprikawurli vermengt ist, schmeckt so rührend retro, dass man sich die Lappen mit nostalgiefeuchten Augen hineinschaufelt – schon gar, wenn ein Salzstangerl zur Hand ist.

Schonzeit-Fisch

Riesling-Beuschel ist von dezenter Aromatik, elastisch im Biss, saftig, keineswegs suppig oder gar obersgeil – angenehm, aber ebenso schnell ver- wie gegessen. Noch besser das angeblich vegetarische Eierschwammerlgulasch mit ideal knackigen Pilzen und einem tadellosen Saftl, das auf verblüffende, aber auch verdächtige Weise nach Rindsgulasch schmeckt, mmh ... hm. Filet vom Wildzander gerät jedoch, wie mitten in der Schonzeit nicht anders zu erwarten, trocken, leblos, tiefkühlgeschädigt. Auch das dazu servierte Paprikakraut mit weiteren roten Sauerwurlis wirkt nicht gerade animierend.

Zwiebelrostbraten wird (im Gegensatz zum Kalbsbutterschnitzel, an dem sich eine "Zwiebel-Senfsauce" vergehen darf) akkurat mit Natursaftl aufgetragen, die Knusperzwiebeln aber sind zu heiß frittiert und bitter – kein Vergnügen. Viel besser: paniertes, zuvor in Senf mariniertes Altwiener Backfleisch, das (siehe Bild) eine ordentliche Portion Kren drübergerissen bekommt. Fazit: Ein bissl mehr Fokus auf die Küchenleistung, dafür weniger Hausmasterschmäh auf der Speisekarte – dann steht dem prächtigen Durchhausgarten ein neuer Frühling bevor. (Severin Corti, RONDO, 2.6.2017)

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Google-Map mit den Lokalkritiken 2017 von Severin Corti und Alex Stranig