Graz – Es sind die Kinder, die diesen Prozess im Grazer Straflandesgericht so beklemmend machen. Das jüngste, ein Mädchen, war gerade einmal drei Jahre alt, als sie mit ihren Eltern und dem befreundeten Ehepaar von der Steiermark weg nach Syrien zog – mitten hinein ins Kriegsgebiet.

Einer der Buben, er war knapp acht Jahre alt, trug ständig eine Pistole und eine Handgranate in der Jacke, "für den Notfall", habe ihm sein Vater, der nun vor Gericht sitzt, damals gesagt. Die Kinder mussten Enthauptungen mitten in der IS-Stadt Raqqa mitansehen. Auf öffentlichen Leinwänden liefen, wie die Kinder in Polizeivideos schildern, IS-Filme, "wie man ein Lamm schlachtet und Menschen tötet".

Die Kinder wissen in den Einvernahmen, die per Videos den Geschworenen vorgespielt werden, detailliert über Autobomben und Waffenarten zu erzählen. Eines der Mädchen erläutert, dass ihr erzählt worden sei, wie zwei Bekannte in Raqqa im Auto, als sie "vom Erschießen" nach Hause gefahren sind, von einer Bombe getötet worden seien. "Der Vater ist vorn oder hinter den beiden gefahren", erinnert sie sich.

Verhaftung in der Türkei

"Was sagen sie denn zu den Aussagen Ihrer Kinder?", fragt der Richter am Freitag. "Nein, das stimmt alles nicht", die Kinder hätten sich da vieles zusammengereimt, aus dem Zusammenhang gerissen, "es stimmt einfach nicht", sagt der Hauptangeklagte, der sich wie die anderen drei Angeklagten – österreichische Staatsbürger – wegen der Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung und Quälens von Unmündigen zu verantworten hat. Weil er und die anderen mit ihren acht Kindern nach Syrien gereist seien und sich dort der Terrororganisation IS angeschlossen hätten. Nach eineinhalb Jahren sind sie wieder über die Türkei geflüchtet, wo sie verhaftet und nach Österreich überstellt wurden. Die Kinder kamen umgehend zu Pflegefamilien.

Die Eltern – zum Teil gebürtige Bosnier, eine zum Islam konvertierte Österreicherin – waren Mitglieder eines extrem radikalen Moscheevereins in Graz. Dort sei ihnen beschieden worden, es sei für Muslime Pflicht, ins Kalifat zum IS zu fahren, gaben die Angeklagten an. Die Männer trugen bis zu ihrer Verhaftung lange Salafistenbärte, die Frauen Gesichtsschleier. Vor Gericht dann die Verwandlung: Die Männer erscheinen glatt rasiert, die Haare kurz geschoren, die Frauen tragen langes offenes Haar.

Eine der Frauen bekennt sich schuldig, sie habe nicht anders können, "ich musste tun, was mein Mann sagte". "Sind sie vom IS nach Österreich geschickt worden?", fragte einer der Pflichtverteidiger. Der Hauptangeklagte entrüstet: Nein, natürlich nicht."

Plädoyers

Der Staatsanwalt weist in seinem Schlussplädoyer noch einmal eindringlich auf die islamistische Einflussnahme auf die Kinder hin. Sie seien permanent einer "Gehirnwäsche" ausgesetzt gewesen. Für die Eltern fordert der Ankläger eine "strenge, wirklich harte Bestrafung". Sie hätten sich dem IS angeschlossen, einer "Bande von Mördern, Vergewaltigern, Sklavenhaltern und wirklich miesen Typen". Er habe die Eltern eigentlich "mitleidlos und teilnahmslos" erlebt, sie hätten sich als Opfer dargestellt, "ein Mitleid mit den Kindern hat man nicht gemerkt".

Es gehe von diesen radikalen Glaubensvereinen, in denen auch die Angeklagten Mitglieder waren, eine eminente Gefährdung aus, die das Entstehen einer Parallelgesellschaft fördern würden. Bei diesen Vereinen sei "immer weggeschaut worden, weil man gesagt hat, das ist halt ihre Kultur". Kleine Kinder würden hier erzogen. "Ich will aber nicht schon wieder diesen Kitsch hören, dass das nur arme Muslime sind, die man am Beten hindert", poltert der Staatsanwalt.

Aber so viel "wie die Inquisition mit dem katholischen Glauben zu tun hat, so viel haben diese Organisationen mit dem Islam zu tun", sagte der Staatsanwalt. Er nimmt schließlich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit hinein in seine Kritik. Er ärgere sich "maßlos" über die Aussage des Präsidenten, dass Frauen aus Solidarität Kopftuch tragen sollten.

Verteidiger sieht "Populismus"

Der Verteidiger der vierten Angeklagten, die alles gestanden hatte, attackiert den Staatsanwalt, dieser habe eine "Lehrstunde in reinstem Populismus" abgegeben. Die Arbeit der Staatsanwaltschaft dürfe nicht zur Betriebsblindheit führen. Der Ankläger habe in seinem Plädoyer kaum einen Bezug zum Verfahren hergestellt. "Ich verstehe auch nicht, was der Bundespräsident mit diesem Verfahren zu tun hat." Der Staatsanwalt habe nur Vermutungen zu bieten, "er hat sich nicht mit der Realität beschäftigt".

Der Staatsanwalt fährt dazwischen. "Das ist ein extrem schwieriger Fall, ich bin 58 Jahre alt, und es ist auch für mich sehr belastend. Ich lass mich nicht von Ihnen anpatzen, da wehre ich mich. Sinn des Plädoyers ist es nicht, den Staatsanwalt zu attackieren. Mir geht es um die Kinder. Die Angeklagte verdient es, gut verteidigt zu werden. Hören sie auf zu schwafeln, und jetzt strengen Sie sich an" knurrt der Staatsanwalt.

"Ich bin heilfroh", fährt der Anwalt etwas irritiert fort, "in einem Land zu leben, in dem anerkannte Religionen unter dem Schutz des Gesetzes ausgeübt werden können. "Wir reden vom Unfassbaren in den letzten Tagen. Heute ist es schwer zu verstehen, was vor zweieinhalb Jahren passiert ist." Seine Mandantin bereue alles. Es könne nicht erklärt werden, "dass es dazu gekommen ist, dass Kinder dieser unbeschreiblichen perversen Realität des Krieges ausgesetzt wurden".

Aber es gab enge liebevolle Beziehung zu den Eltern, sonst hätten es die Kinder nicht überstanden. Die zweite Pflichtverteidigerin appellierte ebenfalls an die Geschworenen, es dürfe nicht aufgrund von Vermutungen zu Verurteilungen kommen. "Wir haben keinen einzigen Beweis gehört. Was haben diese Kinder wirklich wahrgenommen? Kinder neigen zu Übertreibungen. Wenn wir aufgrund von Vermutungen urteilen, begeben wir uns auf das gleiche Niveau wie die da unten."

Die vier Angeklagten seien "zutiefst religiös" und deswegen auch den Hasspredigern "auf den Leim gegangen. Ideologie und Idealismus haben nichts mit Vernunft zu tun". Ihr Mandant müsse die Verantwortung tragen, seine Familie nach Syrien in den Krieg "hinunter geschleppt" zu haben. Er muss sein ganzes Leben damit leben."

Am Freitagabend wurde das Urteil gesprochen: Die vier Angeklagten wurden wegen der Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation sowie Quälens von Unmündigen nicht rechtskräftig verurteilt. Drei erhielten die Höchststrafe von zehn Jahren, eine Beschuldigte neun Jahre. Der Erstangeklagte wurde vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen.

Alle vier Beschuldigten kündigten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, der Staatsanwalt kündigte im Fall des Mord-Freispruchs Nichtigkeitsbeschwerde und bei einer Angeklagten Berufung an. Der Richter betonte, dass die Höchststrafen verhängt wurden, um zu zeigen, "dass der Staat Österreich so etwas nicht akzeptiert". Das Urteil ist nicht rechtskräftig. (Walter Müller, 2.6.2017)