Unabhängig vom Ausgang der Unterhauswahlen am Donnerstag dürfte das Schicksal Theresa Mays, der britischen Premierministerin, ein überzeugendes Beispiel für die Gefahren unnötigen Hasardierens für die politischen Lehrbücher und auch dafür liefern, wie schnell sich die Anziehungskraft der neuen Parteiführer nicht nur in Wien oder Berlin verbraucht. Statt des erwarteten Höhenflugs einer "zweiten Thatcher" ist ihr anfänglicher zweistelliger Vorsprung in den Meinungsumfragen seit Mitte April überraschend schnell fast gänzlich geschmolzen. Ihr Wahlslogan "Starke und stabile Führung" wird in den Medien verspottet und sie selbst wird, auch im Falle des noch immer erwarteten knappen Wahlsiegs, als eine handwerklich ungeschickte und politisch unverantwortliche Hasardeurin betrachtet. Am Vorabend der harten Brexit-Verhandlungen befindet sie sich in einer geschwächten Position.

Es wäre falsch, die zwei blutigen Terroranschläge von Manchester und London als Gründe für die Änderung des innenpolitischen Klimas zu betrachten, wenn auch die Tatsache, dass Theresa May sechs Jahre lang Innenministerin gewesen ist, nicht vergessen werden kann. Es ging aber in erster Linie um die in der auf ihre Person zugeschnittenen Wahlkampagne begangenen schweren politischen Fehler und um ihre unglaubwürdigen Versuche, die angekündigten Sparmaßnahmen in den Schulen, bei der Pflege und im Gesundheitssystem nach wütenden Protesten zurückzunehmen oder abzuschwächen.

Zugleich konnte die Labour-Partei durch ein populäres, wenn auch völlig unfinanzierbares Forderungsprogramm punkten: Verstaatlichung der Bahn, der Post, der Elektrizität und der Wasserversorgung, Abschaffung der Studiengebühren, die Wiederherstellung sozialer Zuschüsse, ein höherer Mindestlohn, mehr Geld für die Schulen und das Gesundheitssystem. Darüber hinaus erwies sich der bisher auch in der eigenen parlamentarischen Fraktion stark abgelehnte, unpopuläre und in der Brexit-Frage lavierende Labour-Führer Jeremy Corbyn in seinem persönlichen Stil umgänglicher und entspannter als die spröde Premierministerin.

Die Tatsache, dass die in den Meinungsumfragen so uneinholbar führende und deshalb strahlende konservative Parteiführerin jede Fernsehdebatte mit dem chancenlosen, 68-jährigen Hauptgegner und mit anderen Herausforderern strikt abgelehnt hatte, trug auch zur Entzauberung Theresa Mays bei. Die Trendwende in allen Umfragen zeigt, dass von einem bis vor kurzem wahrscheinlichen grandiosen Wahlsieg von Theresa May und ihrer Partei keine Rede sein kann.

Ihr Vorgänger im Amt, David Cameron, hatte ohne Not das Brexit-Referendum provoziert, verloren und musste daraufhin zurücktreten.

Seine Nachfolgerin Theresa May ließ im Besitz der von Cameron seinerzeit gewonnenen absoluten Mehrheit im Parlament auch ohne Not schnell Neuwahlen ausschreiben, um die Labour-Partei ein für alle Mal vernichtend zu schlagen und in der konservativen Partei freie Hand für eine harte Linie bei den Brexit-Verhandlungen zu gewinnen. Allerdings sind die Verschiebungen in den Popularitätswerten und in den Auswirkungen der terroristischen Anschläge in der Gesellschaft so unberechenbar, dass alles jederzeit kippen kann. (Paul Lendvai, 5.6.2017)