Katar und Saudi-Arabien sind eigentlich wahhabitische Staaten. Sie folgen der gleichen Strömung des im 18. Jahrhundert in der zentralarabischen Oasenstadt Uyaina lebenden, fanatischen Rechtsgelehrten Muhammad ibn Abd al-Wahhab. Während Saudi-Arabien dessen strikte Lehre bis heute immer noch in einer relativ orthodoxen Form praktiziert, hat sich im Gegensatz dazu die in Katar herrschende al-Thani-Dynastie zu einem pragmatischeren Umgang mit den Lehren Abd al-Wahhabs entschieden.

Die Grenzen zu Katar wurden geschlossen und Flüge gestrichen - das Land wird isoliert.
Foto: AFP / FAYEZ NURELDINE

Während in Saudi-Arabien jegliche andere Religionsausübung, außer dem – natürlich wahhabitisch verstandenen – Islam, verboten ist und sogar Bibeln zum Privatgebrauch bei der Einreise konfisziert werden, stellte der damalige Emir Hamad al-Thani 2005 den christlichen Migranten in Katar Grundstücke zur Errichtung von christlichen Kirchen zur Verfügung. Während Juden in Saudi-Arabien sogar die Einreise untersagt ist, gehen jüdische Geschäftsleute und Expats in Katar ungestört ihren Geschäften nach. Jüdische Angehörige von in Katar stationierten US-amerikanischen Truppen werden seit Jahren problemlos durch Militärrabbiner betreut. Während in Saudi-Arabien selbst gewaltlose schiitische Aktivisten damit rechnen müssen, verfolgt, eingesperrt oder sogar – wie im Jänner 2016 Ayatollah Nimr an-Nimr – hingerichtet zu werden, werden in Katar Angehörige der schiitischen Minderheit durchaus auch mit Positionen im öffentlichen Dienst belegt. Als 2011 sunnitische Extremisten einen schiitischen Friedhof schändeten, verurteilte Emir Hamad al-Thani die Tat und nahm demonstrativ an einer schiitischen Beerdigung teil.

Während in Saudi-Arabien jegliche Einfuhr und jeder Konsum von Alkohol schwer bestraft wird, wird er in Katar nur horrend besteuert. Auch wenn er nirgendwo in öffentlichen Cafés angeboten wird: In den meisten Hotelbars und den dortigen Restaurants und Diskotheken, erhält man für zehn Euro ein Bier und wer bereit ist für ein Glas Wein wenigstens noch einmal zwei Euro mehr hinzulegen, bekommt in den Hotels in Doha auch erlesene Weine zu trinken.

Während es in Saudi-Arabien per Gesetz verboten ist, dass Frauen Autofahren, so erledigt das in Katar die eher konservative Gesellschaft. Es stört sich aber auch kaum jemand daran, wenn die Frauen der Expats hinter dem Lenkrad sitzen.

Und zu guter Letzt: Während Saudi-Arabien seine Medien einer strikten Zensur unterworfen hat, hat Katar mit seinem Fernsehsender Al-Jazeera die gesamte arabische Medienwelt revolutioniert. Solange das eigene Herrscherhaus nicht angegriffen wird, können dort alle möglichen Themen kontroversiell diskutiert werden.

Rivalen in der Region

Das heißt nicht, dass das kleine Katar eine Insel des Liberalismus und der Demokratie wäre. Das relativ beliebte Herrscherhaus hat es aber selten nötig, repressiv vorzugehen. Wie Saudi-Arabien verfolgt Katar eine eigene expansive Politik, die allerdings im Gegensatz zu Saudi-Arabien vor allem auf Soft-Power und einem Bündnis mit der Muslim-Bruderschaft basiert. Genau darüber kamen sich Katar und Saudi-Arabien bereits mehrfach in die Quere.

In Ägypten, wo Saudi-Arabien zu den Hauptfinanziers des Militärregimes zählt, stehen die beiden Staaten auf unterschiedlichen Seiten der Frontlinie. Im syrischen Bürgerkrieg hatten Saudi-Arabien und Katar immer wieder unterschiedliche Rebellengruppen gegen Assad unterstützt. Während Katar gute Beziehungen zur türkischen Regierungspartei AKP von Recep Tayyip Erdoğan oder zur palästinensischen Hamas unterhält, setzt Saudi-Arabien eher auf politisch-salafitische Gruppen, um seinen ideologischen Einfluss auszubreiten. Und nun versucht Katar aus der strikt antiiranischen Front Saudi-Arabiens auszubrechen und eine eigenständige Linie zu fahren. Katar hat kein Interesse an einer weiteren Eskalation des saudisch-iranischen Konfliktes, sondern würde wohl lieber Geschäfte als Krieg mit dem Iran führen.

Saudi-Arabien setzt aufs Ganze

Offenbar verärgerte Katar Saudi-Arabien damit so dermaßen, dass das Königreich nun seine Allierten in der Region zu einer Front gegen Katar einschwört. Schon vor einigen Tagen wurde Katar von jenen, die sich als einzig legitime Erben Muhammad ibn Abd al-Wahhabs betrachten, aufgefordert, seine Staatsmoschee, die nach dem Gründer des Wahhabismus benannt ist, umzubenennen. Am Montag wurden schließlich die Grenzen zu Katar geschlossen, Flüge nach Doha gestrichen und ausgerechnet mit dem Vorwurf der Terrorunterstützung die diplomatischen Beziehungen zum kleinen Golfstaat abgebrochen. Dabei war es bislang immer wieder Saudi-Arabien selbst gewesen, dem mit einiger Plausibilität vorgeworfen worden war, terroristische Gruppierungen unterstützt zu haben.

Saudi-Arabien fordert von Katar, die al-Wahhab-Moschee umzubenennen.
Foto: Thomas Schmidinger

Vorwurf der Terrorunterstützung

Auch hier sind sich Katar und Saudi-Arabien ähnlicher als es scheint: Nachzuweisen ist den Beiden in den seltensten Fällen etwas und in Monarchien, in denen eine Trennlinie zwischen Staat und den zahlreichen Mitgliedern des jeweiligen Herrscherhauses schwer zu ziehen ist, lässt sich oft nicht sagen, ob ein Mitglied des jeweiligen Herrscherhauses die eine oder andere dschihadistische Gruppierung irgendwo unterstützt hatte oder "der Staat" selbst. Noch schwieriger wird das, wenn etwa in Syrien die Trennlinien zwischen Gruppierungen, die "nur" Krieg führen und solchen, die als "Terroristen" zu betrachten sind, kaum zu ziehen sind.

Saudi-Arabien, das zwar im Jemen vor einem militärischen Desaster steht, sich durch den jüngsten Besuch von US-Präsident Trump und den dabei abgeschlossenen Rüstungsdeal aber gegen den Iran  bestärkt fühlt, scheint aufs Ganze gehen und das kleine Katar in die Knie zwingen zu wollen. Der unliebsame Rivale im Golf soll wohl ein für alle mal auf seinen Platz verwiesen werden.

Machtpolitik in der Region

Das damit gesetzte Zeichen ist allerdings auch eines an die anderen Golfstaaten: Jeder, der glaubt, eine eigenständige Machtpolitik in der Region betreiben zu wollen und im iranisch-saudischen Konflikt nicht hundertprozentig hinter Saudi-Arabien steht, wird es mit dem Königreich zu tun bekommen.

Saudi-Arabien pokert damit hoch. Auch wenn das Herrscherhaus von Bahrain völlig von Saudi-Arabien abhängig ist und sich seit 2011 überhaupt nur noch dank saudischer Unterstützung gegen die schiitische Bevölkerungsmehrheit an der Macht halten kann, so ist es keineswegs ausgemacht, wie lange die anderen Golfstaaten dem Hegemonieanspruch Saudi-Arabiens absolute Folge leisten werden. Oman, das mit seinem weder sunnitischen noch schiitischen, sondern ibaditischen Herrscherhaus im konfessionalisierten saudisch-iranischen Konflikt schon oft eine Vermittlerrolle eingenommen hat, ist keineswegs ein saudischer Vasall. Kuwait hat in der Vergangenheit immer wieder zwischen einem Ausgleich und einer Einhegung der eigenen schiitischen Minderheit oszilliert und die Vereinigten Arabischen Emirate stellen als Föderation unterschiedlicher Emirate ohnehin ein sehr komplexes politisches Gefüge dar. Ob sich diese Staaten alle langfristig zu saudischen Vasallen machen lassen, ist keineswegs ausgemacht. Die aktuelle Eskalation kann durchaus auch den Anfang vom Ende der saudischen Hegemonie im Golf einläuten. (Thomas Schmidinger, 6.6.2017)

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