Gerald Gartlehner, Experte für evidenzbasierte Medizin, nimmt für derStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe.

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Misteln sind immergrüne Schmarotzerpflanzen, die alternative Medizin sagt der Pflanze antikanzerogene Wirkung nach.

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Einstimmige Landtagsbeschlüsse werden oft dann gefasst, wenn es um gesellschaftlich besonders wichtige Themen geht: das Antidiskriminierungsgesetz in Niederösterreich; eine Entschuldigung wegen jahrzehntelanger Kriminalisierung Homosexueller in Hessen; ein Fracking-Verbot in Vorarlberg.

Letzte Woche hat der Landtag in Kärnten mit einem einstimmigen Beschluss überrascht: Nachdem die Kärntner Gebietskrankenkasse angekündigt hatte, die Kosten für Misteltherapien bei Krebs nicht mehr übernehmen zu wollen, sprachen sich auf Initiative der Grünen alle Parteien einträchtig für die Beibehaltung als Kassenleistung aus.

Die bedauerlich niedrige Gesundheitskompetenz der österreichischen Bevölkerung macht anscheinend auch vor der Politik nicht halt. Dabei hätte ein klein wenig Recherche schnell zutage gefördert, dass es bis heute keine guten Studien gibt, die zeigen, dass die Misteltherapie wirkt.

Fragliche Wirkung, schwere Nebenwirkungen

Der Großteil aller Studien, die beweisen wollen, dass Mistelpräparate die Heilungschancen bei Krebs oder das Wohlbefinden zum Beispiel während einer Chemotherapie verbessern, ist schlecht gemacht und damit nicht aussagekräftig. So kam die unabhängige Cochrane-Vereinigung nach ausführlicher Prüfung aller Misteltherapie-Arbeiten zu dem Schluss, dass es "nicht genug Hinweise gibt, um klare Aussagen über irgendwelche Effekte einer Misteltherapie zu treffen".

Gleichzeitig ist die im deutschsprachigen Raum so beliebte komplementäre Krebstherapie keineswegs so pflanzlich sanft und harmlos, wie viele zu glauben scheinen. Auch wenn starke Nebenwirkungen selten sein dürften, gibt es doch Berichte etwa von schweren allergischen Reaktionen oder Leberschäden.

In Deutschland raten Leitlinien der höchsten Evidenzstufe – wie die S3-Leitlinien zur Behandlung von Hautkrebs oder des Hodgkin-Lymphoms – ausdrücklich von einer Misteltherapie ab, weil sie das Immunsystem beeinflusst und damit das Tumorwachstum möglicherweise sogar fördern könnte. Bei fehlendem Wirksamkeitsnachweis sollten immungeschwächte Personen allein schon aus Sicherheitsgründen auf eine Misteltherapie verzichten, heißt es etwa in der Leitlinie zum Melanom.

Instrumente für Politik

In den USA wurden von der zuständigen Behörde FDA (Food and Drug Administration) weder Anwendung noch Verkauf der Misteltherapie zugelassen. Und das amerikanische Nationale Krebsinstitut NIH sprach sich nach Prüfung der Fakten erst im Februar wieder gegen die Misteltherapie bei Krebs aus.

Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass zukünftige, gut gemachte Studien einen Wirksamkeitsnachweis erbringen werden – derzeit läuft eine entsprechende FDA-gesponserte Studie an der renommierten Johns-Hopkins-Universität in den USA.

Doch bei alledem stellt sich schon die Frage: Was veranlasst einen Landtag zu einem einstimmigen Beschluss für eine Therapie, die von so viel wissenschaftlicher Unsicherheit umgeben ist? Und noch viel wichtiger: Wo sind die einstimmigen Landtagsbeschlüsse zu Maßnahmen im Gesundheitswesen, von denen wir wissen, dass sie tatsächlich viel Nutzen bringen würden? Wo bleiben einstimmige Landtagsbeschlüsse zu mehr Therapieplätzen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie? Zu mehr Geld für Prävention und Gesundheitsförderung? Zu besseren Daten für die Evaluierung des Mammografie-Screenings und der Vorsorgeuntersuchung neu? Zur Versorgungsforschung?

Die Politik wäre gut beraten, bereits vorhandenes evidenzbasiertes Wissen zur Entscheidungsgrundlage bei medizinischen Fragestellungen zu machen, statt die Gesundheit der Bevölkerung dem Bauchgefühl uninformierter Landtagsmitglieder zu überlassen. (Gerald Gartlehner, 14.6.2017)