Benjamin Loader ist Hals-Nasen-Ohren-Arzt in Wien und auf die Behandlung von Schwindel spezialisiert. Er forscht bezüglich Morbus Menière, Mittelohrchirurgie und dessen, wie man Hörsturz operativ behandeln kann.

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STANDARD: Wie kommen Steine ins Ohr?

Loader: Das ist, als würde einem der Ober im Kaffeehaus zwei Tortenstücke bringen, und er müsste abrupt bremsen, weil ihm ein Kind zwischen die Beine läuft. Ich vergleiche das Innenohr gern mit einem Tortenstück. Es besteht aus dem Boden, im Ohr sind dort die Sinneszellen, darüber die Füllung und oben drauf Puderzucker. Der Zucker repräsentiert die Otokonien, Ohrsteine, die die horizontalen und vertikalen Bewegungen registrieren. Bremst der Ober nun abrupt ab, hat das einen Effekt auf die Tortenstücke. Der Puderzucker vom einen Tortenstück – konkret kommt er aus dem Sacculus oder Utriculus – kann auf der Füllung der anderen Torte landen. Die Otokonien reizen die Sinneszellen. Diese senden eine Fehlmeldung ans Hirn, die Torte bewege sich schnell, obwohl sie längst stillsteht. Das macht schwindlig.

STANDARD: Warum verursacht Schwindel auch Übelkeit?

Loader: Dreht sich unser Kopf nach rechts, bewegen sich die Augen reflexartig mit gleicher Geschwindigkeit nach links, sodass wir weiterhin ein Objekt fixieren können. Beim Lagerungsschwindel meldet das Gleichgewichtsorgan schnelle Drehbewegungen, und die Augenmuskeln zucken dementsprechend rasch hin und her. Augen und Gleichgewichtssinn melden dem Hirn also: Wir bewegen uns sehr schnell! Aber die Bewegungssensoren im Körper sagen: Nein, wir stehen still. Auf diese widersprüchlichen Informationen reagiert das Gehirn mit Schwindel, Übelkeit und Erbrechen.

STANDARD: Wie lässt sich Schwindel im Innenohr behandeln?

Loader: Mit dem Epley-Manöver, das kann man sich auf Youtube ansehen. Man dreht Kopf und Körper in bestimmter Weise hin und her. Der Patient, der gerade noch voller Sorge in der Praxis saß, ist innerhalb von Minuten geheilt und kann nach Hause.

STANDARD: Warum wird einem im Alter schwindelig?

Loader: Weil die Augen schlechter sehen, die Sinnesnerven die Signale langsamer weiterleiten und das Gehirn die Eindrücke nicht mehr so schnell verarbeiten kann. Denn all diese Systeme müssen perfekt zusammenspielen, um das Gleichgewicht zu kontrollieren – wie die Software in einem Computer. Der Computer wird mit der Zeit langsamer, so ist das auch beim Gleichgewichtsorgan. Die älteren Patienten merken das etwa, wenn sie vom Sessel aufstehen und schwindelig werden. Das kann auch an niedrigem Blutdruck liegen, oft ist es eine Kombination mit Altersschwindel.

STANDARD: Welche Möglichkeiten gibt es?

Loader: Manchmal hilft schon zu erklären, dass nichts Schlimmes dahintersteckt – Patienten gewöhnen sich dann auch daran. Ist der Schwindel zu beeinträchtigend, kann man es mit Medikamente versuchen. Mit einem aktiven Lebensstil und Gleichgewichtsübungen lässt sich Altersschwindel vermeiden.

STANDARD: Finden Sie immer die Ursache?

Loader: Nein, leider nicht. Manchmal leiden die Betroffenen unter Überlastung, Burn-out oder anderen seelischen Problemen, die ihnen buchstäblich den Boden unter den Füßen wegziehen. Es kann aber auch sein, dass ein paar kleine Stellschrauben am Gleichgewichtssystem verstellt sind, was man aber nicht nachweisen kann. Das frustriert, weil man Patienten ja gern eine Ursache nennen würde. Dafür sind Diagnose und Therapie beim Lagerungsschwindel super. (Felicitas Witte, 13.6.2017)