Die Cultural Studies, um die es in den vergangenen Jahren etwas stiller geworden ist, hatten in dem Kulturtheoretiker Raymond Williams (1921-1988) einen politisch denkenden Vertreter. In seinen Arbeiten wandte er sich gegen eine zunehmend geisteswissenschaftliche Konzentration auf beliebige Alltagsphänomene, er plädierte für einen umfassenden Begriff von Kultur als politischer Kraft – und vice versa.

Diese kritische Haltung will ein Herausgebertrio von der Universität Wien und der Universität für angewandte Kunst Wien wieder ins Gedächtnis rufen. Über Raymond Williams versammelt Beiträge bezüglich seiner Theorie, seiner Auseinandersetzungen mit Denkern wie Antonio Gramsci und Michel Foucault, seines Erzählwerks – er war zwar Professor in Cambridge und auf Stanford, sah sich aber eher als Autor denn als Akademiker – und seiner illusionsloser Analyse der Medien: Heute wäre er ein Blogger, Twitteraner und Youtuber, heißt es an einer Stelle.

Undogmatisch und spannend sind auch seine Reaktionen auf konkurrierende Entwicklungen, die ebenfalls große Theorien zur Erklärung der Lebenswelt vorstellten. So konnte er als "kultureller Materialist" anders als viele orthodoxe Marxisten dem "linguistic turn" des Strukturalismus einiges abgewinnen. Die Vorstellung, dass Kultur nichts weiter als die Widerspiegelung der ökonomischen Basis ist, lehnte er ab, ohne deswegen der Illusion einer autonomen Geisteswelt zu verfallen.

Von den Verfassern der unterschiedlich anspruchsvollen Beiträge stammt keiner aus der Heimat von Williams und den Cultural Studies, nämlich Großbritannien. Das Buch veranschaulicht also eher, wie sein Erbe im Rest der Welt diskutiert wird – auch in Österreich. (Michael Freund, 13.6.2017)