Wien – Vor zwei Jahren führten chinesische Forscher ein Experiment durch, das man unter normalen Umständen wohl als "Weltpremiere" bezeichnet hätte. Doch das Experiment löste, des speziellen Untersuchungsobjekts wegen, eher Alarm denn Jubel aus. Die Fachblätter "Nature" und "Science" hatten die Studie zuvor wegen ethischer Bedenken abgelehnt. Als sie schließlich im Journal "Protein & Cell" veröffentlicht wurde, gingen die medialen Wogen hoch. Hier sei eine Tabuzone betreten worden, lautete der Tenor vieler Kommentatoren. Das Untersuchungsobjekt war: ein menschlicher Embryo.

Menschliche Embryonen galten lange Zeit als Tabuzone für wissenschaftliche Experimente. Doch im Frühjahr 2015 präsentierten chinesische Forscher ihre Versuche am Erbgut eines Embryos.
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Junjiu Huang und seine Mitarbeiter von der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou hatten mithilfe der neuartigen "Gen-Schere" CRISPR/Cas9 erstmals in das Erbgut eines menschlichen Embryos eingegriffen. Ziel des Versuchs war, Gene für Erbkrankheiten durch gesunde zu ersetzen. Mit der Methode CRISPR/Cas9 kann man zwar – im Prinzip – beliebige Sequenzen aus der DNA schneiden und neue einfügen. Im Versuch der chinesischen Forscher funktionierte das allerdings nicht sonderlich überzeugend. Der Genersatz gelang nur in vier von 54 Versuchen – viel zu wenig, um auch nur an eine Gentherapie beim Menschen zu denken. Das sieht auch Studienleiter Junjiu Huang so: Wollte man das Verfahren dereinst in der Medizin anwenden, "müsste die Trefferquote 100 Prozent betragen. Die Methode ist noch nicht ausgereift."

Huang wird auch nicht müde zu betonen, dass es sich bei den Embryonen keineswegs um normale, entwicklungsfähige gehandelt habe. Ein Mensch hätte daraus niemals entstehen können – gleichwohl sehen viele Forscher den Versuch kritisch. George Daley, prominenter Stammzellenforscher der Harvard Medical School in Boston, betrachtet ihn etwa als "ernstes Warnsignal". Das Center for Genetics and Society in Berkeley forderte gar einen Stopp derartiger Versuche.

Künstliche Befruchtung

Der Grund dafür ist grundsätzlicher Art: Zu welchem Zweck würde man die Technologie in Zukunft einsetzen, wenn sie denn sicher wäre? Kritiker glauben, dass genetische Versuche am menschlichen Embryo einer Schreckensvision Vorschub leisten: dem genetisch maßgeschneiderten Menschen.

Tatsächlich ist die Wissenschaft dieser Möglichkeit in einem anderen Forschungsbereich bereits viel näher gerückt – und zwar im Bereich der sogenannten Präimplantationsdiagnostik (PID). Die PID ist eine Standardmethode, die bei der künstlichen Befruchtung zum Einsatz kommt. Sie greift nicht in das Erbgut von Embryonen ein – sie dient vielmehr dazu, herauszufinden, ob ein Embryo in die Gebärmutter eingesetzt werden soll oder nicht. Ausgewählt werden dann jene, die über normale Chromosomen verfügen und auch sonst keine Auffälligkeiten im Erbgut tragen. In den USA wird dieses Verfahren bereits bei fünf Prozent aller künstlichen Befruchtungen durchgeführt; in Großbritannien ist es erlaubt, 250 erblich bedingte Krankheiten auf diese Weise auszuschließen; auch in Österreich ist das Verfahren zur Behebung erblich bedingter Unfruchtbarkeit zulässig.

Bei der künstlichen Befruchtung ist es derzeit erlaubt, Embryonen zu scannen, um jene mit Erbkrankheiten nicht in die Gebärmutter einzusetzen. Technisch wäre es kein großer Schritt, noch weiter zu gehen und Embryonen mit gewünschten genetischen Eigenschaften auszuwählen.
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Allerdings ließe sich das Verfahren im Prinzip auch umkehren: Technisch wäre es kein großer Schritt, jene Embryonen auszuwählen, die erwünschte erbliche Eigenschaften besitzen. Erlaubt ist das gegenwärtig nicht. Und es gibt auch noch ein paar methodische Hürden, die dem entgegenstehen, betont Henry Greely von der Stanford University. Die Gewinnung von Eizellen, so der amerikanische Bioethiker, sei für Frauen immer noch "unangenehm und riskant", mit der Weiterentwicklung der Fortpflanzungsmedizin werde PID wohl in absehbarer Zeit sicherer, einfacher und billiger.

Genetische Menükarte

Greelys Prognose: In 20 bis 40 Jahren werden Paare aus den Industrieländern aus einer Art genetischer Menükarte wählen können, bevor sie ihre Kinder per In-vitro-Fertilisation auf die Welt bringen. Ähnlich sieht das der Harvard-Genetiker George Church: "Wir werden an einen Punkt kommen, wo die Veränderung menschlicher Gene so alltäglich ist wie Schönheitsoperationen." Befinden sich die Industriegesellschaften auf dem besten Weg zu einer technologischen Dystopie à la "Brave New World"?

Ulrich Körtner, Theologe und Bioethiker an der Universität Wien, stimmt Greely in einem Punkt zu: "Wir haben durch die PID sicher schon einige Schritte auf dem Weg zum Designerbaby in unseren Alltag internalisiert. Die Methoden nähern sich der Wunsch erfüllenden Medizin." Anlass, in Alarmstimmung zu verfallen, sieht er indes nicht. "Ich bin für eine Entdramatisierung. Hinweise auf Aldous Huxleys "Brave New World" haben oft die Gestalt von Totschlagargumenten. Man sollte den Leidensdruck von Menschen, die ohne medizinische Hilfe keine gesunden Kinder bekommen können, ernst nehmen."

Interview mit George Church über die Gen-Schere CRISPR/Cas9.
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So wird in der Diskussion über die Reproduktionsmedizin jene Ambivalenz sichtbar, die schon die Gentechnikdebatte vergangener Jahre bestimmt hat. Technik hat keine Moral. Ob sie zum Wohle des Menschen eingesetzt oder missbraucht wird, obliegt der Gesellschaft und den Gesetzgebern. In Österreich ist man diesbezüglich eher säumig.

Luftleerer Raum

Zwar wurde das Fortpflanzungsmedizingesetz 2015 novelliert. Doch die Europäische Biomedizinkonvention, in der etwa der Embryonenschutz präziser geregelt ist, wurde hierzulande noch immer nicht ratifiziert. Und die Bioethikkommission, die sich mit solchen Fragen zu befassen hätte, agiert derzeit quasi im luftleeren Raum. Ihre Funktionsperiode lief vergangenes Jahr aus. Dass Bioethik und Biopolitik in Wahlkampfzeiten noch Thema im Parlament werden, ist gelinde gesagt unwahrscheinlich. So heißt es nolens volens: Bitte warten.

Auch wenn die PID nur indirekt – über die Selektion von Embryonen – über erwünschte Eigenschaften von Embryonen verfügen könnte, hat sie mit der Gentechnik eines gemein: Auch sie wäre dazu geeignet, das Erbmaterial zu optimieren. Vorausgesetzt, man könnte an den Genen ablesen, welcher Mensch sich daraus entwickeln wird.

Das mag bei der Haar- oder Augenfarbe der Fall sein. Deutlich schwieriger wird es schon bei körperlichen Konstitutionen wie der Körpergröße. Und vollends unüberschaubar wird die Sachlage bei Charaktereigenschaften, Musikalität oder Intelligenz. Das liegt zum einen daran, dass die beteiligten Gene schlichtweg unbekannt sind – zum anderen daran, dass die Wirkung der Gene keineswegs so simpel ist, wie es vielfach suggeriert wird.

Gene für Intelligenz

Was das bedeutet, zeigt eine Studie, die Ende Mai im Fachblatt "Nature Genetics" erschienen ist. Darin berichtete ein internationales Forscherteam von der Entdeckung 40 bislang unbekannter "Intelligenzgene". Das mag beeindruckend klingen. Tatsächlich können die Forscher damit bloß 4,8 Prozent der beobachtbaren Intelligenzunterschiede erklären. Und das, obwohl Intelligenz zu jenen Eigenschaften gehört, die eine starke genetische Basis haben.

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Beim Genome-Editing- Verfahren mit der "Gen-Schere" CRISPR/Cas9 wird eine Guide-RNA (rot) genutzt, um die DNA (blau) an einer bestimmten Stelle (gelb) zu schneiden.
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An der Entwicklung und Funktion des Großhirns sind schätzungsweise 10.000 verschiedene Gene beteiligt. Sie zu Hochintelligenz zu konfigurieren mag zwar der Natur selten und zufällig gelingen. Sie per "Gendesign" dazu zu zwingen scheint mit gegenwärtigem Stand der Forschung illusorisch. Die genetische Basis der Intelligenz ist schlicht zu breit im Genom verteilt, sie ist zu kompliziert und kaum zielgerichtet zu kontrollieren. Das geniale Kind auf Wunsch bleibt einstweilen noch ein Topos der Literatur und der Science-Fiction.

Zu 13 Prozent unter den besten zehn

Das weiß freilich auch Henry Greely. Wie der amerikanische Bioethiker kürzlich gegenüber dem britischen "Guardian" sagte, würden Eltern mit Kinderwunsch auf dem genetischen Menüplan der Zukunft – so es ihn einmal geben sollte – nur recht allgemeine Sätze lesen können. Etwa der Art: Dieser Embryo "hat eine 60-prozentige Chance, in der Schule unter den besten 50 Prozent zu landen. Und eine 13-prozentige Chance für die besten zehn Prozent."

Das mag für viele immer noch befremdlich klingen. Doch dem Menschen nach Maß scheinen die Regeln der Genetik einen Riegel vorzuschieben. Zumindest im Wortsinn: Das Maß bleibt bis auf weiteres so ungenau, sodass es diesen Namen nicht verdient. (Robert Czepel, 31.7.2017)