Gerald Hensel: "Ich war überrascht, wie wenig das Klischee des unpolitischen Werbers stimmt."

Foto: Saskia Uppenkamp

Gerald Hensel kennt sich mit Shitstorms und Hass im Netz aus. Ende 2016 wurde der Werber und Stratege bei Scholz & Friends massiv bedroht, weil er mit seiner Aktion #KeinGeldfürRechts Unternehmen darauf aufmerksam machte, dass sie auf rechten Seiten wie "Breitbart" und umstrittenen deutschen Portalen wie "PI-News" oder "Achse des Guten" werben und diese Seiten damit mitfinanzieren.

Morddrohungen gegen ihn waren die Folge, auch sein Arbeitgeber erhielt Drohungen und Boykottaufrufe. Hensel kündigte und macht als Privatperson weiter gegen Hass im Netz mobil. Sein Projekt fearlessdemocracy.org ging vor kurzem an den Start, beruflich hat er gerade einen neuen Job als Partner in der Agentur Plot angenommen.

STANDARD: Waren Sie von der heftigen Reaktion auf #KeinGeldfürRechts überrascht? Was würden Sie heute anders machen?

Hensel: Klar. Mir waren die Mechanismen von wahllosem, systematischen Framing gegen private Einzelpersonen so nicht bewusst. Ich dachte auch, dass man so was vielleicht als Politiker oder Prominenter mit PR-Stab erlebt. Dass ein solches Feuer auf eine Privatperson über so eine lange Zeit gerichtet wird, war neu. Was habe ich gelernt? Ein Freund von mir, der in der Musikindustrie viel Erfahrung mit PR gemacht hat, formulierte es so: "Am Anfang steht die böse Nachrede. Und dann wird geguckt, wie man auch nur im Entferntesten inhaltlich unterstützen kann, damit du in die Schublade passt. Und was nicht passt, wird passend gemacht." Das habe ich gelernt. Hier war ich mir gegenüber damals zu unvorsichtig. Aber wie gesagt: Ich war ein in den sozialen Medien aktiver Privatmensch und eben kein Politiker mit einem PR-Team im Rücken.

STANDARD: Was treibt Sie an? Sehen Sie sich als politischen Aktivisten?

Hensel: Der "Spiegel" hat mich einen "Verletzten" genannt. Das ist nur die halbe Wahrheit. Auch wenn es nicht cool klingt: Ich bin in der Tat ein Idealist und war es immer. Das treibt mich. Ich glaube, dass unsere Welt an ganz vielen Punkten mehr Idealismus braucht, auch wenn einem das manchmal Spott einbringt. Wir leben in einer Umbruchzeit, in der es eben nicht ausreicht, einfach weiter so zu machen wie bisher, während systematische Ausgrenzung wieder alltagstauglich wird. Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich mit meinen 41 Jahren bei viel zu vielen Dingen zugucke. Das habe ich geändert.

STANDARD: "Wir vernetzen gegen die Wut" ist ein Motto ihres Projekts fearlessdemocracy.org. Sie wollen helfen, die Zivilgesellschaft gegen den Hass im Netz zu stärken. Wie?

Hensel: Wir sind eine Gruppe von Menschen, von denen die meisten Kommunikations- oder einen PR- oder Digital-Background haben. In den letzten Monaten mussten wir regelmäßig zuschauen, wie sich eine offene Demokratie vor allem von Rechtspopulisten vorführen ließ. Gleichzeitig wissen wir aber auch aus eigener Erfahrung, dass "Digital" und "Content" nicht nur in Marketingabteilungen viel zu oft noch Neuland ist – speziell dort, wo es um vermeintliche Details geht, die dann zu sehr folgenschweren Resultaten führen können.

Wir sind ein kleiner Verein von Spezialisten, der der Zivilgesellschaft hilft, dort Probleme zu beraten, offenzulegen und zu beheben, wo die eigenen digitalen Skills nicht ausreichend sind. Mit Medienarbeit und im Dialog mit Entscheidern beginnen wir gerade den Dialog darüber zu führen, was sich eine Zivilgesellschaft auch im Netz bieten lassen sollte. Und wir starten gerade neben einigen anderen Projekten eine Hilfsplattform für politisch Angegriffene im Netz. Unser News-Aggregator "The Wave" fasst täglich die wichtigsten Nachrichten rund um globalen Populismus auf Facebook zusammen. Wir besetzen damit eine Lücke zwischen Öffentlichkeit, Journalismus und Politik. Und wir wollen Politik als Profis mitgestalten – durchaus auch über Deutschland hinaus.

STANDARD: Mit "Hate Aid" bieten Sie auch einen Erste-Hilfe-Guide für Menschen an, die Gewalt im Netz erleben. Was raten Sie Betroffenen, was sind die ersten Schritte?

Hensel: Man sollte sich erst einmal auf sich selbst besinnen und eine Art Selbstschutzmodus aktivieren. Bei mir persönlich wurde über fast zwei Wochen alles auf links gedreht, was mich vermeintlich angreifbar machen kann. Daher: Im Zweifel erst mal für eine Weile schauen, dass man die eigenen Social Networks auf privat schaltet und keine Freunde kompromittiert. Freunde sind in solchen Situationen sowieso das A und O. Ich habe ja kaum einen Artikel gelesen, der über mich geschrieben wurde. Das haben netterweise wechselnde Freunde für mich unternommen, die das Gift dann besser von sich halten konnten als ich. Mir hat man dann so eine Art Summary gegeben, auf die ich dann reagieren konnte oder nicht.

Grundsätzlich hilft es, sich sehr früh zu fragen, ob man einfach seine Ruhe haben will oder ob man selbst aus einem Shitstorm etwas Positives rausziehen kann. Das ist durchaus möglich.

STANDARD: An Markenunternehmen appellieren sie, politischer zu agieren. Wie bringt man Unternehmen dazu, Haltung zu zeigen? Umstrittene Websites auf eine Blacklist zu setzen ist wohl zu wenig, oder?

Hensel: Unternehmen profitieren von der gemeinsamen, vernetzten Welt, die wir in Europa in den letzten Jahren gemeinsam aufgebaut haben. Wenn Unternehmen alle Vorzüge der EU in Kauf nehmen, aber gleichzeitig mit Werbung Seiten finanzieren, die die EU zur Erosion bringen wollen, ist da ein sehr grundsätzlicher Fehler drin.

Werbung beteiligt sich daran – und das auf Basis eines Werbeaussteuerungssystems, das sie als Marken kaum noch unter Kontrolle haben. Marken sind in den meisten Fällen nur noch in der Lage, den Algorithmen zu sagen, wo sie nicht erscheinen wollen. Und Blacklists sind nur ein Tool, das den letzten Schritt einer Kette von strategischen Entscheidungen bildet. Sie sind im Mediaumfeld der gängige Weg, um einem System zu sagen, dass man an einem bestimmten Ort nicht auftauchen will. Das gilt nicht nur für politische Inhalte, sondern auch für andere digitale Plätze, an denen man nicht sein will.

Eleganter ist es aber, sogenannte Whitelists anzulegen, sich also bewusst für etwas zu entscheiden als Marke. Klingt verrückt, aber das war der Weg, wie früher Werbeplätze gebucht wurden. Warum das so ein revolutionärer Gedanke sein soll, verstehe ich nicht. Es geht um nichts als Kontrolle für Marken. Und die haben sie zurzeit nicht.

STANDARD: Sie kritisieren, dass das Thema noch nicht in der Vorstandsetage angekommen ist.

Hensel: Grundsätzlich geht es bei solchen Fragen immer darum, ob ein Thema strategischen Rang hat und damit als mehr angesehen wird als ein einkaufbarer Service, den jemand anders für einen aufsetzt. Ohne Zweifel ist das Mediabusiness eine Dienstleistung, die erst mal nur sehr effizienzgetrieben gute Ergebnisse erzielen soll. Programmatic Advertising klang zu einem bestimmten Zeitpunkt wie eine gute, effiziente Idee. Das ist es zu einem gewissen Grad auch.

Eine wichtige Komponente, die aber zu wenig thematisiert wird, ist, dass diese und andere Innovationen massive Kontrolllosigkeit für Marken zur Folge haben. Die Verantwortung wird dann gerne an Tech-Companys ausgelagert. Und hier beginnt das Problem: Digitalisierung heißt eben auch, dass sich Unternehmen selbst durch die komplexen Unwägbarkeiten unserer Zeit navigieren müssen. Im konkreten Fall heißt das auch: Budgets auf Websites zu lenken, die rassistisches Agenda-Setting betreiben oder Fake-News-Kampagnen stützen, ist ein politisches Statement. Um hier gegenzulenken, muss man richtig führen. Und nein, das ist heute nicht mehr einfach.

STANDARD: Wie sehen Sie hier die Rolle der Kreativen? Auf der "Republica" in Berlin sagten sie, dass sich die Werbebranche als viel politischer erwiesen hat, als ihr nachgesagt wurde.

Hensel: Der große Schalter in der Werbung liegt im Media- und nicht so sehr im Kreativbereich, das muss man so sagen. Bei den Media-Entscheidern liegt die Macht, hier liegt das Geld. Und: Eine Marke kann sich kommunikativ durchaus komplett unpolitisch geben, aber ein klares und für sie völlig ungefährliches Statement mit ihrer Media-Politik machen, indem die Marken eben an bestimmten Orten nicht auftauchen. Das ist aber nur die technisch-budgetäre Komponente hinter dem, was ich glaube.

Eine andere Komponente hat einfach etwas mit politisch aktiven Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft zu tun. Hier war ich in den letzten Monaten überrascht, wie wenig das Klischee des unpolitischen Werbers stimmt. Die Werbebranche ist lustig, sie macht Spaß, und man trifft viele nette Leute. Sie ist aber sicher nicht mehr der Ort, an dem man den tieferen Sinn findet. Das habe ich bei durchaus vielen Kollegen gemerkt, die plötzlich zeigen wollen, dass ihr Können auch Veränderung bringen kann. (Astrid Ebenführer, 27.6.2017)