Auf Vorzugsstimmen setzte auch der frühere niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP). Er nutzte eine rechtliche Eigenart seines Bundeslandes aus: Hier gilt nämlich "Name vor Stimme" – wer also Pröll seine Vorzugsstimme gab, aber bei einer anderen Partei das Kreuz machte, wählte im Ergebnis trotzdem die ÖVP.

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Die ÖVP will den Wählern mehr Einfluss darauf geben, welche Personen sie als Abgeordnete ins Parlament entsendet. Alle Kandidaten müssen dazu erklären, dass sie eine Umreihung schon ab Erreichen der Hälfte der gesetzlichen Vorzugsstimmen-Hürden akzeptieren (solche Erklärungen sind politischer Natur und rechtlich nicht bindend – wer nach dem Gesetz gewählt ist, ist gewählt).

Die Tatsache, dass es so selten Kandidaten schaffen, mittels Vorzugsstimmen ein Mandat zu erlangen, welches ihnen aufgrund des Listenplatzes alleine nicht zustünde, gibt der ÖVP auf den ersten Blick recht. Auf den zweiten Blick aber wird klar, dass das eigentliche Problem nicht unbedingt bei den Hürden liegt. Vielmehr ist es so, dass ein großer Teil der Vorzugsstimmen an Personen geht, die ohnehin sichere Listenplätze innehaben und deswegen in aller Regel gar keine Vorzugsstimmen für das Erreichen eines Mandats benötigen.

Die Grafik unten zeigt, dass 2013 zwischen 28 (ÖVP) und 74 (FPÖ) Prozent der Bundeslisten-Vorzugsstimmen an die Listenersten (!) gingen. Über die sechs Parlamentsparteien gerechnet waren es 38 Prozent. Bezieht man alle sicheren Listenplätze (operationalisiert über die Zahl der auf der Bundesliste erreichten Mandate) mit ein, waren es in allen Parteien außer der SPÖ über 50 Prozent der Vorzugsstimmen, die auf diese Weise "sinnlos" vergeben wurden. Wenn man bedenkt, dass viele auf der Bundesliste vorne gereihte Personen auch in anderen Wahlkreisen abgesichert sind, dann sind diese Anteile sicherlich eine konservative Rechnung.

Zwei mögliche Schlussfolgerungen drängen sich auf: Entweder verstehen viele Wähler den Mechanismus des Vorzugsstimmensystems nicht und vergeben deswegen Stimmen an Kandidaten, die das eigentlich nicht nötig haben. Oder die Wähler verstehen den Mechanismus sehr wohl, wollen aber mit ihrer Vorzugsstimme gar keine Umreihung vornehmen, sondern einfach ihre Präferenzen für bestimmte Personen registrieren. Beide Schlüsse legen nahe, dass das jetzige Vorzugsstimmensystem einigermaßen unsinnig ist.

Zudem zeigt sich, dass die Personalisierung – so sie überhaupt stattfindet – an der Spitze konzentriert ist. Wenn man schon Personen stärker in den Vordergrund rücken will, dann lieber mithilfe eines Systems, das in die Breite geht und regional gut verankerte Persönlichkeiten belohnt, statt einfach nur mittels medial präsenter Spitzenkandidaten.

Das wiederum könnte man fördern, indem man mehr Mandate in (kleiner gezogenen) Regionalwahlkreisen vergibt. Will man weiter gehen, kann man sogar ein rein kandidatenzentriertes System ohne Parteilisten einführen – Abschaffung von Landeswahlkreisen und nationalem Proportionalausgleich inklusive. Allerdings würde ein solches System wohl eine stark dezentralisierte Kandidatenauswahl in den Parteien erfordern und damit die Parteieliten schwächen. Womit wir zum Schluss auch das größte Hindernis auf dem Weg zu einer echten Personalisierung des Wahlrechts identifiziert hätten. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 16.6.2017)