Für eine Gentherapie gegen Erkrankungen des Zentralnervensystems müssten erst die optimalen "Genfähren" zum Einschleusen von Erbsubstanz in das Gehirn gefunden werden. Ein internationales Wissenschafterteam mit Beteiligung von Experten der Vetmeduni Wien haben dazu bei Mäusen Untersuchungen mit Lentivirus-Konstrukten durchgeführt.

Ein Team mit Wissenschaftern um Kirsti Witter untersuchte nun erstmals an Mäusen, wie weit sich diese Viren im Gehirn ausbreiten und welche Zellen sie dort infizieren. Einige der künstlichen Viren wanderten von der Injektionsstelle im Großhirn bis in den Riechkolben oder ins Kleinhirn und infizierten neben Neuronen auch andere Zellen. Die in der Zeitschrift "Histochemistry and Cell Biology" veröffentlichten Ergebnisse könnten die Auswahl geeigneter viraler "Gen-Transporter" für maßgeschneiderte Therapien mittels Gentransfer verbessern, hieß es in einer Aussendung der Universität.

Virale Postboten

In den Versuchen mit Mäusen zeigte sich erstmals, dass einige der getesteten Viren von der Injektionsstelle weit in andere Hirnbereiche vordringen können. "In unserer Studie wurden die viralen 'Postboten' in Kernbereiche des Großhirns injiziert, die unter anderem unsere Bewegungsabläufe koordinieren", sagte Kirsti Witter vom Institut für Anatomie, Histologie und Embryologie. Von dort breiteten sich einige der Viren, anders als bisher bekannt, auch in weit entfernte Gebiete, wie ins Kleinhirn oder in den Riechkolben des Gehirns, aus.

"Diese Information ist wichtig, da je nach Hirnerkrankung eine möglichst weiträumige Verteilung des Virus oder die gezielte Infektion eines streng umgrenzten Gebiets erwünscht sein kann", wurde Erstautor Juraj Hlavaty zitiert. "Wir konnten mit diesem Versuch außerdem zeigen, dass zwar alle getesteten Viren wie erwartet Neuronen und die sie umgebenden Gliazellen infizierten. Je nach Virus unterschieden sich allerdings Menge und Verhältnis der infizierten Zellarten voneinander."

Gezielte Infektion

Die Ergebnisse der Arbeit, die in Zusammenarbeit mit der Westböhmischen Universität Pilsen, Tschechien, und dem Paul Ehrlich Institut Westfalen entstand, sollen dazu beitragen, die Auswahl der viralen Transporter noch besser definieren zu können. "Das Ziel ist, eine Werkzeugkiste mit möglichen Viren zu erstellen, um genau den richtigen Transporter für eine maßgeschneiderte Behandlung einer Erkrankung des Gehirns auszuwählen, sagte Kirsti Witter.

Besonders gut für eine Gentransfer-Therapie eignen sich demnach Konstrukte auf der Basis von Lentiviren, dazu gehören HI-Viren oder die ähnlichen und bei Affen vorkommenden SIV-Erreger. "Das Erbgut der im Labor hergestellten Lentiviren besteht nur aus Bereichen, die für die Infektion und den Einbau ins Erbgut notwendig sind. Dadurch unterscheiden sich diese Viren essenziell von natürlich vorkommenden, krankheitserregenden Viren", sagte Hlavaty. Die zusätzlich eingebauten, menschlichen Gene werden durch die verbleibenden Fähigkeiten in infizierte Zellen eingeschleust und sollen dort Aufgaben bei Krankheit defekter Erbanlagen übernehmen. (APA, 16.6.2017)

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